Die Wütenden und die Schuldigen

Im März 2020 ist Selma mit der Palliativmedizinerin Kati Kuhn von Berlin aus auf dem Weg zu ihrem Großvater Richard in der Uckermark. Es ist Lockdown, doch Richard hat Krebs im Endstadium und Kathi soll ihm auf Bitten ihrer besten Freundin Maria, Die Wütenden und die Schuldigen Richards Schwiegertochter und Selmas Mutter, die letzte Etappe seines Lebens erleichtern, damit er wenigstens ohne Schmerzen sterben kann. Richard ist protestantischer Pfarrer ohne Glauben und hadert mit dem schlechten Verhältnis zu seinem Sohn Holger, der sich nach einem Suizidversuch in der Psychiatrie befindet. Seine Frau Maria, Selmas Mutter, ist Anästhesistin in einer Berliner Klinik und muss für zwei Wochen in Corona-Quarantäne. Dann ist da noch ihr Sohn Jakob, Kunststudent und Taugenichts, der bei seiner Freundin rausgeflogen ist und eigentlich wieder bei Mama einziehen will. Doch 14 Tage mit ihm in der Wohnung kann sie sich nicht vorstellen. Eine defekte Waschmaschine in der Wohnung über ihr löst das Problem und bringt Maria die Bekanntschaft mit einem Rabbi ein, der dort oben vorübergehend wohnt. Aus diesen Konstellationen bezieht der Roman seine Energie – oder sollte es, denn so richtig zündet er nicht. Die Figuren bleiben – vielleicht mit Ausnahme von Richard – blass, weder die Geschichte zwischen dem Rabbi und Maria wird auserzählt noch die verschiedenen Episoden um Richard, Selma und Kathi in der Uckermark. Doch gerade hier knüpfen die großen Fragen nach Sterben und Tod an, die der Roman aufwirft. Selma gerät an eine grell überzeichnete Pegida- oder AfD-lastige Bevölkerung und wird vergewaltigt, Kathi versucht mit dem Tierarzt des Dorfes eine Katze, die Richard zugelaufen ist, vor dem Krebstod zu retten. Von Düffels Roman reißt viele Themen an, kann sich aber nicht so recht entscheiden, wovon er wirklich erzählen will: Vom Lockdown und seinen Folgen? Der spielt kaum eine Rolle, alle Figuren verstoßen dauernd gegen die Auflagen. Vom Sterben in Zeiten der Isolation? Dafür hat Richard zu viel Kontakt und für seine Schwiegertochter ist sein Sterben kein Thema, zumindest wird davon nicht erzählt. Andererseits erweist sich von Düffel als routinierter Erzähler, dem man schon genau auf die Finger schauen muss, um der Unzufriedenheit auf die Schliche zu kommen, die sich bei der Lektüre einstellt. Mit den genannten Vorbehalten Lesenden mit Interesse an zeitgenössischer Literatur empfohlen.

Christoph Holzapfel

Christoph Holzapfel

rezensiert für den Borromäusverein.

Die Wütenden und die Schuldigen

Die Wütenden und die Schuldigen

John von Düffel
DuMont (2021)

313 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 983449
ISBN 978-3-8321-8163-5
9783832181635
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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