Herzenssache
"Die bloß analytisch-instrumentelle Vernunft kann, wenn sie nicht mit der emotionalen, empfindsamen Intelligenz des Herzens einhergeht, zum Wahn der Vernunft werden, wie es in der Schoah auf erschreckende Weise deutlich wurde ... Die Wiedergewinnung
der Vernunft des Herzens ist ... eine kollektive Herausforderung. Es geht um ein neues Paradigma der Zivilisation, das mit der positiven Seite der Rationalität eine Verbindung eingehen muss, ohne die wir keine Ordnung in die Komplexität der Welt bringen können." (S. 16/17) Mit diesen starken Sätzen beschreibt der Autor, der als Befreiungstheologe, Mitverfasser der "Erdcharta" und Träger des alternativen Nobelpreises bekannt ist, den Kern seines Anliegens. Auf 128 Seiten entfaltet er seine Idee: Gefühl und Empfinden, das, was er mit "Herz" bezeichnet, sollte wieder gleichberechtigt neben Vernunft, Wille, Verstand und Libido gerückt werden, damit die Welt nicht im Chaos versinkt. Die Bühne dieses Gedankenexperimentes ist unsere reale Welt mit ihren aktuellen Konflikten weltweit. Vielleicht ist man als Leser gelegentlich verwirrt, den verschlungenen Gedankenwegen folgend, die oft weit ausholend auch einmal den geraden Weg verlassen; dennoch - vielleicht auch erst beim wiederholten Lesen - kann man viele interessante Gedanken und Erfahrungen entdecken, die zum Weiterdenken anregen. Nüchternen Menschen mag manche Passage esoterisch erscheinen, insbesondere der Schluss. Er könnte aber genauso gut als Entwurf einer modernen Herzensmystik gelesen werden. Dieser Essay kann allen kritischen Menschen empfohlen werden, die Interesse an philosophischen Fragen haben.
Lioba Speer
rezensiert für den Borromäusverein.

Herzenssache
Leonardo Boff
Butzon & Bercker (2016)
128 S.
kt.