Um uns die Toten
Dieses sehr persönliche Buch hinterlässt einen ambivalenten Eindruck. Einerseits setzt es sich kenntnisreich mit einigen philosophischen und theologischen Fragen rund um den Tod auseinander, andererseits wirken manche Passagen sperrig durch eine
subjektiv-persönliche Sicht, die andere Ansichten kaum zulassen will. Dadurch erhalten einige Kapitel eine geradezu manipulative Nuance, wenn z.B. Grill Afrika nur durch die AIDS-Brille betrachtet, vom "Freitod" seines todkranken Bruders bei Dignitas in der Schweiz in einer packenden, mit viel Wärme geschilderten Reportage berichtet (für die er 2006 mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet wurde), den Tod der Mutter aber als medizinisch-technisch bestimmtes und damit geradezu unmenschliches Sterben darstellt. Dabei haben Grill und seine Geschwister in beiden Fällen die Sterbenden liebevoll und mit viel Kraftaufwand begleitet. Ebenso werden kirchliche Vorstellungen und Traditionen eher einseitig zur Sprache gebracht - nicht immer frei von einer 08/15-Kirchenkritik, im letzten Kapitel gar eine abfällige, enttäuschte Absage an die christliche Glaubenslehre. Mehrfach betont der Autor, dass viele Menschen bei ihm Hilfe suchten - als wenn das schon ein Qualitätsnachweis wäre ... Ein Kleinod in diesem durchaus bewegenden biografisch-subjektiven Buch ist das 20-seitige Streitgespräch zur Sterbehilfe zwischen dem Autor und dem Philosophen Robert Spaemann. - Eine streitbare, sehr persönlich gefärbte Auseinandersetzung mit dem Tod, die sich - auch aus Enttäuschung - von kirchlichen Positionen abgrenzt und für das Recht auf einen begleiteten Suizid (nicht aber für eine Tötung auf Verlangen) einsetzt, wie er von Schweizer Sterbehilfe-Organisationen betrieben wird.
Reiner Andreas Neuschäfer
rezensiert für den Borromäusverein.

Um uns die Toten
Bartholomäus Grill
Siedler (2014)
222 S. : Ill.
fest geb.