Das Scheitern
Hermann Wohlgschaft, Seelsorger und Sachbuchautor, war ein großer Bücherfreund. Seine Literaturkenntnis reicht von theologischer über psychotherapeutische bis zu belletristischer Literatur, von der Antike bis zu zeitgenössischen Autoren; aber auch
in Theater und Musik kannte sich Wohlgschaft gut aus. Mit seinem letzten Buch vor seinem Tod (2024) will er seine Bandbreite und Belesenheit, das wird schnell offensichtlich, noch einmal dokumentieren, und das gelingt ihm eindrucksvoll: Er vollführt einen wahren Parforceritt durch die Welt der schönen Literatur und Mythen, der Bibel, der Stücke und Kompositionen namhafter Dramatiker und Komponisten, alle präsentiert unter dem Thema des Scheiterns. Man sollte sein Buch also nicht als psychologischen Ratgeber in die Hand nehmen, denn Tipps zur Kompensation eigener Rück- und Fehlschläge gibt er nicht. Und auch bei der Deutung der Romane, Dramen, Bibelstellen und Mythen erweist sich Wohlgschaft nicht als psychologischer oder literaturwissenschaftlicher Experte, sondern als Amateur und Dilettant, aber wohlgemerkt im positiven Sinne der Begriffe: also als leidenschaftlicher Liebhaber von Literatur. Das zeigt sich etwa, wenn er Klassikern der Weltliteratur wie Büchners "Woyzeck" nur einen kurzen Abschnitt gönnt, seinem Lieblingsautor Karl May (über den er selbst eine Biographie geschrieben hat) aber mehrere Kapitel. Und auch seine Deutung großer Werke wie dem "Don Quijote" oder den Romanen von Camus wird diesen in ihrer Gänze nicht gerecht. Doch das will Wohlgschaft auch nicht leisten. Wer dies berücksichtigt, der wird die Gedanken eines überaus klugen und bis ins hohe Alter weltoffenen und neugierigen Geistes mit Gewinn lesen.
Günter Bielemeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Das Scheitern
Hermann Wohlgschaft
Patmos (2025)
223 Seiten
fest geb.