Memento mori – bedenke, dass du sterben wirst. Dieses Bewusstsein ist an wohl kaum einem anderen Ort so präsent wie auf dem Friedhof. Schon im antiken Rom hat man sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinandergesetzt. So war es üblich, dass beim Triumphzug des Feldherrn ein Sklave hinter diesem herging, einen Kranz aus Lorbeeren oder gar Gold über des Herrschers Kopf hielt und mit ständiger Wiederholung die Worte „Memento mori“ laut aussprach.
Doch was im alten Rom noch an der Tagesordnung war, nämlich das öffentliche Sterben (z. B. in der Kampfarena) sowie das Sinnieren über den eigenen Tod, ist heute in den Hintergrund gerückt.
Einer, der diese Entwicklung aus nächster Nähe beobachten konnte, war der Trauerbegleiter Fritz Roth (1949 – 2012). Er war nicht nur als Leiter eines Bestattungshauses in Bergisch Gladbach bekannt, sondern hatte sich auch einen Namen als Redner über Tod und Trauer gemacht.
„Der Tod ist zu etwas Furchteinflößendem und Unfassbarem geworden, und er ist in der modernen, leistungsorientierten Gesellschaft nicht eingeplant. Der Mensch stirbt nicht mehr umgeben von Familie und Freunden, sondern einsam und der Öffentlichkeit entzogen […]“, lautet eine von Roths Beobachtungen aus dem Buch „Das letzte Hemd ist bunt – Die neue Freiheit in der Sterbekultur“.
Ganz anders begegnete man dem Sterben dagegen im Mittelalter. Denn hier empfand man den Tod als hässlich und gemein, wenn er plötzlich und absurd stattfand, es weder Zeugen für ihn gab noch eine Zeremonie für den Toten gefeiert wurde. Reisende, die nicht mehr zurückkehrten oder zufällig vom Blitz Getroffene, die einsam und ohne menschliche Zuwendung die Erde für immer hinter sich ließen, wurden in der Gemeinschaft mit großem Mitleid aufgrund ihres einsamen Ablebens bedacht.

Gedenken der Toten im November
Dass der Tod (vielleicht) das einzige Ereignis auf der Welt ist, das in allen Gesellschaften ritualisiert wird, sollte uns seine Bedeutung vor Augen führen. Der Tod ist unausweichlich, und sich mit ihm zu beschäftigen und auch gemeinsam über ihn zu philosophieren, kann hilfreich sein, die oftmals aufgestaute Furcht vor dem Unbekannten zu nehmen.
Auch wenn Trauer und Abschied oftmals im Privaten stattfinden, so gibt es jedoch einen Tag im Jahr, an dem der Friedhofsbesuch, zumindest in einigen Teilen Deutschlands, fast schon als Pflichttermin zählt. Am 1. November feiert die katholische Kirche Allerheiligen, am 2. November ist Allerseelen, der Tag des Gedenkens aller Verstorbenen. Traditionell werden am 1. November die Gräber gesegnet, bereits in der Woche zuvor trifft man vermehrt Menschen auf dem Friedhof an, die die Grabstätten ihrer Angehörigen und Freunde für diesen Tag vorbereiten. An Allerheiligen gedenkt man nicht nur den bekannten Märtyrern, sondern auch allen nichtbenannten Heiligen.
Entstanden ist der Feiertag aus rein pragmatischen Gründen. So ist die Anzahl der Heiligen einfach zu groß, um jedem einzelnen einen eigenen Tag zu widmen. Allerheiligen wurde unter Papst Gregor III. im 8. Jahrhundert eingeführt, denn auch schon damals gab es Friedhöfe und Traditionen, rund um das menschliche Ableben.

Vom klassischen Ort zur Randerscheinung
Friedhöfe, Begräbnisse oder auch Rituale, um die Trauer zu verarbeiten, sind und waren in allen Kulturen Spiegel für den Umgang der Menschen mit ihren Verstorbenen und dem Tod an sich. So zeigen Bestattungen die unterschiedlichen Vorstellungen, die sich Völker in ihren Zeiten vom Tod und auch vom Leben gemacht haben.
Dem Ort der letzten Ruhestätte wird je nach Situation die ein oder andere Rolle zugeschrieben. Ein Friedhof kann als Schauplatz für Grusel und Mystik dienen, ebenso kann er friedlich sein und Raum und Zeit bieten, um sich der Trauer oder auch den positiven Erinnerungen hinzugeben.
Waren die Friedhöfe früher in der Stadt, der Mitte des gesellschaftlichen Lebens, verankert, sind sie mittlerweile oftmals an die Ränder der Städte und Gemeinden gezogen. Die traditionelle Bestattung und das Interesse oder die Möglichkeiten aufgrund räumlicher Entfernungen an der Grabpflege nehmen ab, ökonomische Fragen wie Pflegeaufwand und Kosten spielen eine immer entscheidendere Rolle bei der Wahl der letzten Ruhestätte.
So werden Feuerbestattungen in Deutschland immer öfter der klassischen Sargbestattung vorgezogen. Im Jahr 2018 wurden bereits 73% der Verstorbenen in Deutschland eingeäschert.
Da es auf katholischen Friedhöfen eine Friedhofssatzung gibt, die beispielsweise Skulpturenhöhe und Bepflanzungsart genau festlegt sowie oftmals ein christliches Symbol verlangt, lassen solche Reglementierungen viele Menschen nach Alternativen suchen, wo sie ihre Liebsten bestatten möchten, zum Beispiel in einem Friedwald oder auf See.

Grabstätte des Borromäusverein e.V. in Bonn-Poppelsdorf
Große und bekannte Friedhöfe gibt es in Deutschland viele. So finden beispielsweise auf dem Melaten-Friedhof in Köln Prominente wie Willy Millowitsch, Guido Westerwelle oder Alfred Neven DuMont ihre letzte Ruhe. Aber auch kleinere Friedhöfe, wie der in Bonn-Poppelsdorf, haben ihren ganz eigenen Charme. Nach 1884, als der Alte Friedhof in Bonn endgültig geschlossen wurde, bekam der Poppelsdorfer Friedhof die wichtigste Rolle in Bonn zugeschrieben. Dessen Anlage wurde im Jahr 1800 eingeweiht und im Jahr 1984 unter Denkmalschutz gestellt. Hier ruhen viele bedeutende Persönlichkeiten, die in Bonn gelebt und gewirkt haben. Unternehmer, Politiker und auch die Gründungsprofessoren der Universität Bonn sind hier beerdigt.
Schreitet man auf dem Poppelsdorfer Friedhof aus Richtung Wallfahrtsweg kommend den Berg hinauf, so kann man auf der rechten Seite, Abteilung 10, die Grabstätte des Borromäusverein e.V. sehen. Es handelt sich hierbei um eine zeittypische Grabanlage mit der Formensprache des 20. Jahrhunderts, eine Stilrichtung zwischen Realismus und Expressionismus. Der aus Bonn stammende bekannte Bildhauer Jakobus Linden hat das Grabmal gestaltet. Auch er liegt auf dem Poppelsdorfer Friedhof begraben.
In der ersten Septemberwoche dieses Jahrs habe ich die Grabstätte des Borromäusvereins besucht: Es ist ein angenehmer Spätsommermorgen, vereinzelt höre ich Vögel singen, das Sonnenlicht findet seinen Weg durch die dicken Baumkronen und hochgewachsenen Hecken und Sträucher. Die Statue des Karl Borromäus empfängt mich mit einem offenen Buch in der Hand. Das ist der Ort, an dem die Direktoren des Borromäusverein e.V. ihre letzte Ruhe finden durften. Im Jahr 1998 trat der Borromäusverein seine Nutzungsrechte der Gräber an die Stadt Bonn ab, die seitdem auch für die Pflege der Stätte zuständig ist, da keine Belegung mehr vorgesehen ist. Auch wenn die Statue teilweise mit Moos bewachsen ist und der Ort verlassen, ja beinahe als „lost place“ bezeichnet werden kann, liegt der Platz friedlich da und lässt mich zur Ruhe kommen.

Und das ist auch das Fazit, das ich nach meiner Recherche über die Friedhofskultur und unseren (nicht) gelebten Umgang mit dem Tod, der zwar etwas Endliches, aber auch etwas Friedliches ausstrahlen kann, ziehe: Wir sollten den Tod und unseren Umgang mit diesem nicht tabuisieren. Friedhöfe am Rand der Gesellschaft und das Schweigen über den Tod entsprechen keiner wünschenswerten Sterbekultur.
Aber natürlich muss man hier auch den Wandel der Kultur und seine Folgen betrachten: Anonyme Bestattungen sind beispielsweise oftmals der modernen Zeit geschuldet, da die örtliche Nähe nicht immer gegeben ist und damit auch die Voraussetzung für die Grabpflege entfällt, auch wenn sich sicherlich einige Menschen wünschen würden, diese übernehmen zu können.
Dennoch sollten wir darauf achtgeben, den Tod nicht aus den Augen zu verlieren, denn wie es Herr Roth auch schon sagte, wir entwickeln uns hin zu „[…] einer Gesellschaft, in der der Tod nicht stattfindet und dessen Realität geleugnet wird.“
Und das ist nicht nur schade, sondern auch ein Vermeidungsverhalten, das uns doch eines Tages einholen könnte. Dessen sollten wir uns bewusst sein.
Text: Verena Kaster, Oktober 2021
Verena Kaster ist Online-Redakteurin und Projektmitarbeiterin für "Wir sind LeseHelden" im Borromäusverein e.V.
Literaturhinweise:
Christian Griesche, Hans Otzen - Rheinische Friedhöfe zwischen Köln und Koblenz
Fritz Roth - Das letzte Hemd ist bunt. Die neue Freiheit in der Sterbekultur - zur medienprofile-Rezension