Nicht mein Leben
Ein pensionierter Lehrer alter Sprachen, bald 80, verheiratet mit der viel jüngeren Japanerin Akiko, seiner früheren Dolmetscherin, hat sich seit langem in seinem Atelierhaus eingerichtet, umgeben von einem Garten mit exotischen Bäumen, den der
Autor ausführlich beschreibt. August Mormann (AM), so heißt er, mit Spitznamen Outis, wie der "Niemand" aus der Odyssee, trägt nicht zufällig die Initialen seines Autors Adolf Muschg (AM). "Nicht mein Leben" heißt die Erzählung – und doch erzählt der bedeutende Schweizer Autor Muschg eben von diesem, seinem Leben, das an vielen Stellen dieser Odyssee gleicht. August und Akiko suchen eine Grabstelle für beide. August wird zu einem Symposion nach Triest eingeladen, um über Europa zu sprechen – sein Spezialgebiet und seine Leidenschaft. Dort trifft er Bekanntschaften aus seiner Jugendzeit, was zu besinnlichen Rückblicken auf vergangene Zeiten führt. Die Erzählung spielt am Ende der Coronazeit und am Beginn des Ukrainekriegs. Muschg / Mormann gibt die Inhalte der Vorträge genau wieder. Die Veranstaltung endet wegen des Kriegsbeginns im Chaos. Muschg lässt seine Erzählung spiralförmig verlaufen und die einzelnen Handlungsstränge aus Gegenwart und Vergangenheit kommen immer wieder aufeinander zurück. Nach seiner Rückkehr ist Akiko spurlos verschwunden und August richtet sich auf ein Leben allein ein. – Muschg folgt dem in letzter Zeit weit verbreiteten autofiktionalen Schreiben. Ein großartiges Buch des inzwischen 90-jährigen Büchner-Preisträgers. Philosophisch, lebensklug, bereichernd. Allen Büchereien nachdrücklich empfohlen – unverzichtbar.
Wilfried Funke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Nicht mein Leben
Adolf Muschg
C.H.Beck (2025)
174 Seiten
fest geb.