Aus der Zuckerfabrik
Den Handlungsstrang des neuen Romans von Dorothee Elmiger zeichnen zu wollen, ist unmöglich. Tagebuchartig, schwer einer Chronologie folgend, doch durchaus eine ahnend, schwimmen die Leser/-innen mit inneren Monologen, Dialogen häufig mit Partnern aus Literatur, Geschichte, Theologie oder autobiografisch anmutenden Zeitgenossen. Es ist kein herkömmlicher Roman, eher ein Essay in Romanform, mit dem Elmiger herausfordert. Selbst der Versuch des postmodernen Schreibens scheint überwunden zu werden. Zum Festhalten durchzieht das Thema kolonialer Kapitalismus die Ausführungen, was sich jedoch auch nicht vordergründig präsentiert, sondern als Verknüpfungspunkte einen roten Faden bietet. Die Erzählerin sucht leidenschaftlich Verbindung zur Welt und vergangenen Epochen; Frisch und Kleist begegnen sich, Adam Smith taucht als Ökonom mit seiner Liebe zu Zucker auf und wird mit der Rebellion der Sklaven im 19. Jh. konfrontiert, während ein zeitgenössischer Plantagenbesitzer den Zuckergehalt seiner Rüben vorstellt. Gedanken und Wertungen sind Tür und Tor geöffnet und es ist nicht so, als würde uns die Erzählerin nicht gleich auf der ersten Seite warnen, als sie auf die Frage nach Vorstellung, wie sich ihr Wandern durch Gestrüpp denn wohl anfühlen möge, ihr Gegenüber so antworten lässt: "Und schön, weil fast alles darin vorkommen kann und weil das Licht je nach Tageszeit einmal hierhin und einmal dorthin fällt und manchmal liegt Schnee, und ärgerlich ist es auch, weil man ständig hängen bleibt an den Ästen der Sträucher, vor allem, wenn sie Dornen haben und weil du ja so gerne diese Samthose trägst". - Eine literarische Besonderheit, die die Welt des gegenwärtigen Wirtschaftens aus einem Zeitarchiv zusammensetzen will, wobei ein gefälliges Gefüge nicht möglich ist. Eine Herausforderung, auch für geübte Leser.
Christine Vornehm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Aus der Zuckerfabrik
Dorothee Elmiger
Carl Hanser Verlag (2020)
270 Seiten
fest geb.