Frau im Dunkeln

Die 48 Jahre alte Leda, Wissenschaftlerin an einer Florentiner Universität, macht Ferien an einer Küste im Süden. Neapel, ihre ehemalige Heimat, ist nicht weit. Sie ist seinerzeit den prekären Verhältnissen entronnen, aber es zieht sie doch in Frau im Dunkeln die Gegend. Leda ist geschieden, der Mann und die beiden Töchter leben in Kanada. Ein attraktiver, junger Strandwächter umsorgt sie, was ihrem Ego guttut. Sie bereitet sich auf das nächste Semester vor, aber durch eine laute, impertinente Großfamilie wird sie immer wieder gestört. Und dann fallen ihr eine junge Mutter, Nina, und deren kleine Tochter auf. Es fasziniert sie, wie das Kind ihre Puppe behandelt; liebevoll, umsorgend, hätschelnd, genauso wie die Mutter sie behandelt. Leda sucht Kontakt mit Mutter und Kind. Weshalb, ist ihr erst nicht so recht klar. Aber ihr früheres Verhalten drängt sich in ihr Bewusstsein: Sie hatte ihre Familie plötzlich verlassen, die Kinder waren noch klein. Sie war den oft abwesenden Mann, der sie auch betrog, und die anstrengenden Kinder leid. Sie arbeitete einige Jahre an ihrer Karriere, kehrte dann wieder zu Mann und Kindern zurück. Später kam es zum endgültigen Bruch. Leda ist nun allein und arrangiert sich vermeintlich gut mit der Situation. Das Familienleben am Strand führt ihr nun überdeutlich vor Augen, dass doch nicht alles so gut ist, wie sie sich einredet. - Die Autorin, bekannt durch ihre vierbändige Neapolitanische Saga (zul. "Die Geschichte des verlorenen Kindes", BP/mp 18/401), hat diese Erzählung vor ihrer Erfolgsserie verfasst. In Italien gab es Irritationen; die Geschichte einer Frau, die ihre Kinder verlässt, kam nicht gut an. Seinerzeit hat die Geschichte in Deutschland kaum Aufmerksamkeit gefunden. Nun gibt es diese Neuauflage in neuer Übersetzung. Es ist bemerkenswert, wie das Seelenleben von Menschen, hier vor allem von Frauen, beschrieben wird. Eine eindringliche, auch verstörende Erzählung. Die Leserschaft dürfte hier aber wegen des abrupten Schlusses doch etwas ratlos zurückbleiben. Insgesamt aber ein bemerkenswertes Buch. (Übers.: Anja Nattefort)

Erwin Wieser

Erwin Wieser

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Frau im Dunkeln

Frau im Dunkeln

Elena Ferrante
Suhrkamp (2019)

187 S.
fest geb.

MedienNr.: 914036
ISBN 978-3-518-42870-2
9783518428702
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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