Tage des Verlassenwerdens
Die 38-jährige Olga führt seit fünfzehn Jahren ein glückliches, krisenfreies Eheleben mit Kindern und Hund. Als ihr Mann sie plötzlich verlässt, fällt sie in einen Abgrund. Sie hatte sich immer für stark, unabhängig und ausgeglichen gehalten, doch nun steht sie vor den Trümmern ihrer vermeintlich glücklichen Ehe. Sie beginnt, während sie schlaflos im Bett liegt, ihre Beziehung zu sezieren, um irgendeinen Anhaltspunkt für eine Krise zu finden, doch fürchtet sie in ihrer Verzweiflung, den Verstand zu verlieren. Die geradezu alltägliche Geschichte erzählt die Bestsellerautorin derart intensiv, dass der/die Leser/-in mit der Protagonistin leidet, wütend wird, hofft, schreit, die Kinder vernachlässigt, Freunde vergrault und dem Wahnsinn immer näher kommt. Erst allmählich wird Olga klar, dass sie bisher den Sinn ihrer Existenz nur in Ritualen und in der Zufriedenheit ihres Mannes gesehen hatte. Sie will "herausfinden, was von ihr übrig bleibt, wenn er fort ist". - Die Neuausgabe von Ferrantes zweitem Roman ist eine lohnende Entdeckung, eine großartige Analyse der Gefühle einer verlassenen Frau. Sehr zu empfehlen.
Ileana Beckmann
rezensiert für den Borromäusverein.
Tage des Verlassenwerdens
Elena Ferrante ; aus dem Italienischen von Anja Nattefort
Suhrkamp (2019)
252 Seiten
fest geb.