Verlangen und Melancholie

Hinrich, Journalist einer renommierten Tageszeitung in Rente, erhält eines Tags einen Brief mit Trauerrand, den er sich, neun Jahre, nachdem seine Frau Irene freiwillig aus dem Leben schied, nicht zu öffnen traut, zu sehr traumatisierte ihn das vergangene, Verlangen und Melancholie unerwartete Ereignis. Mit seinem Enkel Malte, mit dem er zur Vorbereitung auf das Ethikabitur philosophische Diskurse übt, und seiner Tochter Naomi, deren Konzeption einer Kunstausstellung er begleitet, gelingt ihm immer wieder die Verdrängung der verschlossenen Nachricht. Als er mit Malte schwarz geparktes Geld aus der Schweiz schafft, wobei ihm eine frühere Romanze hilft, beginnt eine Reise in die Vergangenheit Hinrichs. Die erste Liebe, eine außereheliche Affäre, die erotische Freundschaft mit einer Polin und immer wieder die tief eingegrabenen Erlebnisse mit seiner verlorenen Frau Irene breitet der Ich-Erzähler nun aus und sucht dabei nach Erklärungen für den Suizid. Hinrich trifft immer wieder auf einen polnischen Journalisten und früheren Bekannten bis hin zu drei gemeinsamen Tagen in Warschau, wo der Austausch über die Vergangenheit und Weltsicht der beiden zwischen den Zeilen Licht in die Geschichte der Figuren bringt. Dieser Journalist wird geradezu zum Symbol der sich abzeichnenden Wende, wie der sog. Falke in einer Novelle. - Es ist die Kunst des Erzählens, wie sich das Dunkel vollends lichtet, ohne dass offensichtlich aufgeklärt wird. Die Antworten stehen nicht auf dem Papier, sondern formieren sich im Kopf des Lesers. Besondere Bilder, sezierende Beobachtungsgabe und tiefe Einblicke in das Menschliche machen den Roman zu einer großen Erzählung. Fesselnd bis zuletzt.

Christine Vornehm

Christine Vornehm

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Verlangen und Melancholie

Verlangen und Melancholie

Bodo Kirchhoff
Frankfurter Verl.-Anst. (2014)

443 S.
fest geb.

MedienNr.: 579328
ISBN 978-3-627-00209-1
9783627002091
ca. 24,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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