Nachtdiebe

Was sind Nachtdiebe? Im Unterschied zu Tagedieben, die ihren alten Träumen nachhängen, verlieren sie sich in neuen, mit angeschlagenem Selbst- und rumorendem Unterbewusstsein. Im Sommer nach dem Mauerfall fliegt der Radiosprecher Quint mit seinem Nachtdiebe kleinen Sohn Julian nach Tunis. Von dort hat ihn eine Postkarte von Helen erreicht. Die junge Frau hat ein Jahr lang in Frankfurt auf Julian aufgepasst und ist dann unvermittelt verschwunden. In der Medina stößt Quint auf allerlei Merkwürdigkeiten. Da ist seine zartgliedrige Zimmerwirtin, deren spätzeitlichem Charme er verfällt, da stört ein exilierter DDR-Künstler seine Nachforschungen, und da taucht ein Tagebuch von Helen auf. Immer wieder neue Seiten werden unter Quints Hotelzimmertür durchgeschoben: Was bedeuten die unfreundlichen Enthüllungen über seine Beziehung zu Helen? Welche Rolle spielt seine zurückgebliebene Frau, Julians Mutter? Wieso bittet der Junge immer wieder seinen Vater, ihm vom Ungeheuer zu erzählen? Die daraus entstehende Rätselspannung gibt der Erzählung von Bodo Kirchhoff das Zeug zur Novelle. Und die mit der Geschichtenfindigkeit des Autors vertrauten Leser/-innen wissen Bescheid, dass "Nachtdiebe" nichts anderes ist als ein Kondensat des vor mehr als dreißig Jahren erschienenen Romans "Der Sandmann". - Eine Erzählung über die dunklen Seiten von Vater- und Geschlechterliebe, eine unheimliche Fahrt in das Unterbewusstsein eines Mannes in der Lebensmitte-Krise, mit einem fernen Echo aus der schwarzen Romantik. Empfehlenswert.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Nachtdiebe

Nachtdiebe

Bodo Kirchhoff
Frankfurter Verlagsanstalt (2023)

155 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 613802
ISBN 978-3-627-00310-4
9783627003104
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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