zu brechen bleibt die See
Warum manche Poesie mögen? Nun ja, weil manche auch Nudelsuppe, Komplimente und die Farbe Blau mögen, schreibt die Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska 1996. Der tschechische Schriftsteller Michael Stavaric zäumt das Pferd sozusagen von hinten
auf. In 77 Anläufen fragt er danach, was man mit Poesie nicht kann. Und da kommt einiges zusammen: mit Poesie kann man keinen Staat machen, keine Herzoperationen durchführen, kein Bier kühlen, kein Selfie machen, den Klimawandel nicht stoppen, Viren nicht vernichten. Seltsam, dass man aber davon so viel Aufhebens machen muss. Genau das führt ins Geheimnis der Poesie. So viel auch über ihre vermeintliche Nutzlosigkeit geschrieben wird, so unerschütterlich und so langlebig ist sie. Sie bewahrt Weltwissen, bringt die Fantasie in Fahrt, färbt die Welt, deren Existenz Nietzsche zufolge nur ästhetisch gerechtfertigt ist. Dass "Lyrik nervt" (Hans Magnus Enzensberger), davon können also nicht nur Schüler/-innen ein Lied singen. Aber sie hilft auch - und sie lädt ein. Etwa zum Weiterdichten: "Poesie kann wenig bis nichts", meint Julia Willmann. Es kommt eben nicht darauf an, was man mit Poesie kann, sondern was Poesie kann, anders gesagt: "was Poesie mit mir macht" (Nancy Hünger). Sehr lesenswertes Langgedicht über den Sinn des Gedichts!
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.

zu brechen bleibt die See
Michael Stavaric
Czernin Verlag (2021)
134 Seiten
fest geb.