E.E.
Die 15-jährige Erna Eltzner fällt in Ohnmacht. Als sie wieder erwacht, sieht sie einen Mann im Esszimmer stehen. Offensichtlich hat sie die spiritistischen Fähigkeiten ihrer Mutter geerbt. Über solche verfügten auch der Beamte Walter Frommer und seine Schwester Therese – allen dreien gingen diese jedoch verloren. Die Literaturnobelpreisträgerin und studierte Psychologin Olga Tokarczuk entwickelt in ihrem Roman (im Original vor über 20 Jahren erschienen) die Geschichte der Erna Eltzner ("Der Fall E.E."), wobei sie einen tiefen Blick in Leben und Welt in der Zeit Anfang des 20. Jh. (Breslau 1908) wirft, und abwechselnd aus der Perspektive verschiedener an der Handlung beteiligter Personen erzählt. Erna nimmt an Séancen teil, verfügt über Kontakt zum verstorbenen Herrn Schatzmann, was sie zunehmend anstrengt, und verliert den Bezug zur Wirklichkeit, da sie von ihrer Mutter weitgehend gegen äußere Einflüsse abgeschirmt wird. Die Anforderungen an sie erschöpfen sie körperlich und geistig. Arthur Schatzmann (der Sohn) nimmt sich wissenschaftlich des Falls an und führt Aufzeichnungen über die Séancen. Streiche der jüngeren Geschwister, die etwa Gegenstände zum Umfallen bringen, hinterlassen nachhaltigen Eindruck. Es entsteht eine Art Séancen-Tourismus. Die vorbereiteten Eingriffe in die Gesetze der Natur fliegen schließlich auf. Alles zerfließt, das Übernatürliche löst sich auf. "Ist dann das, was wir sehen, real?" (S. 255). – Als Frühwerk der vielfach ausgezeichneten Autorin allen Büchereien sehr empfohlen.
Wilfried Funke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
E.E.
Olga Tokarczuk ; aus dem Polnischen von Lothar Quinkenstein
Kampa (2024)
298 Seiten
fest geb.