Nicht wirklich
Eigentlich ist es ein armer Tropf, von dem Jens Sparschuh da in seinem neuen Roman erzählt: ein Privatdozent für Philosophie, der sich nach der Abwicklung seiner Sektion mit Vertretungsprofessuren und Volkshochschulkursen durchschlägt. Die Lesenden lernen ihn kennen, als er wieder einmal neben sich steht und sich selbst bei der montagsabendlichen Vorlesung reden hört. Das ist wiederum ebenso erheiternd wie erhellend, denn Dr. Anton Lichtenau, so heißt der Dozierende, spricht über Hans Vaihinger. Und der hat 1911 eine Philosophie des Als-Ob entwickelt, von der sich sein Elève offenbar eine gute Scheibe abgeschnitten hat, denn er traktiert seine Studierenden nicht nur mit dem feinen Unterschied zwischen Hypothese und Fiktion, sondern fühlt sich auch selbst pudelwohl in Wunschträumen, erfundenen Erinnerungen und Fantasielebensläufen. Das gilt in der akademischen Welt ebenso wie in der privaten, die er mit einer Lektorin für ziemlich kitschige Arztromanhefte teilt. Jens Sparschuh schickt die Lesenden auf einen Weg in einen alternativen Lebenslauf, der seinen Helden nicht mehr ins akademische Prekariat, sondern nach Russland verschlägt und zu einem einträglichen Geschäftsmodell bringt, dem „Modell P.“. Es besteht darin, sich als blinder Passagier bei einer Trauerfeier einzuschleusen, indem man so tut, als ob man den Verstorbenen von früher kennen würde. Ein heiteres und zum Nachdenken anregendes Buch über die Kraft der Fiktion und die Kunst, im weiten Feld der Möglichkeiten eines besseren Lebens zu navigieren. Sehr empfehlenswert.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Nicht wirklich
Jens Sparschuh
Kiepenheuer & Witsch (2023)
220 Seiten
fest geb.