Der Hilfsprediger
An einem regnerischen Abend im September 1956 steht er vor der Tür des Pfarrhauses von Fetherhoughton: ein Fremder namens Fludd, in Priesterkleidung. Er bietet Father Angwin, dem Pfarrer des tristen grauen Städtchens irgendwo in England, seine Dienste an. Ist er der vom Bischof angedrohte Vikar, der moderne Zeiten in Fetherhoughton anbrechen lassen soll? Fludd erweist sich als angenehmer Zeitgenosse, ein guter Zuhörer, dem die Gesprächspartner bereitwillig ihre Geheimnisse anvertrauen. Allerdings hat er auch etwas Geheimnisvolles, Düsteres und seine merkwürdigste Eigenschaft besteht vielleicht darin, dass sich niemand an seine Gesichtszüge erinnern kann. Fludd jedenfalls erwirbt sich Father Angwins Vertrauen und unterstützt ihn in der Seelsorge. In Mutter Perpetua, die das örtliche Kloster und die Volksschule mit eiserner Hand regiert, findet er eine harte Gegnerin und in der jungen, freiheitsliebenden Schwester Philomena eine Seele, die er rettet - oder verführt? - Hilary Mantels ebenso boshafter wie unterhaltsamer Roman (eine spezielle Variante des englischen Kleriker-Romans) über eine abgelegene katholische Pfarrei in den fünfziger Jahren erschien bereits 1989, wurde aber erst jetzt ins Deutsche übersetzt. Mit Unbehagen und großem Vergnügen folgt man den Wegen der Protagonisten durch das hinterwäldlerische englische Städtchen, gruselt sich angesichts der rückständigen Sitten und Gebräuche und fragt sich wieder und wieder: Wer ist dieser Fludd? Was führt er im Schilde? Wer ist hier gut - und wer böse? Das Übernatürliche, das hier wie selbstverständlich mitschwingt, ist ebenso typisch für Mantel wie ihr schwarzer Humor. Ein großes, mysteriöses Lesevergnügen, ab mittleren Beständen. (Übers.: Werner Löcher-Lawrence)
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
Der Hilfsprediger
Hilary Mantel
DuMont (2017)
207 S.
fest geb.