Bin ich arm oder reich?
Bin ich arm oder reich? - diese Frage stellen sich manche Kinder und auch etliche Erwachsene. Geht es um materiellen Reichtum oder was gibt es alles nicht zu kaufen, das dennoch reich macht? Antje Ehmann hat sich umgeschaut und acht empfehlenswerte Bilder-, Kinder- und Sachbücher rund ums Thema Armut und Reichtum gefunden.
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Tom Percival nimmt uns in Ich gehör dazu! mit zu den Unsichtbaren - so lautet auch der Titel des Bilderbuches im Original -, genauer gesagt in eine kalte, großstädtische Hochhaussiedlung. Übersetzer Salah Naoura dazu: „Ich mochte die schlichte und dennoch poetische Sprache, die eher seltene Thematik und den Charakter des Mädchens.“ Hauptfigur Isabell steht zumindest auf dem Cover im Rampenlicht einer hellen Straßenlaterne. Doch so einfach ist ihr Leben sonst eher nicht. Dennoch schafft sie es, in kleinen, konkreten Schritten ihr Leben zu verändern. Beeindruckend sensibel erzählt in Text und stimmungsvollen Bildern. Der englische Autor und Illustrator ist selbst in einem Wohnwagen ohne Strom und Heizung aufgewachsen, und hat deshalb Isabells Geschichte schreiben wollen. „Trotz Geldknappheit … gab es zwei Dinge, die wir reichlich hatten: Liebe und Bücher. Es gab einen Büchereibus, der ganz in der Nähe hielt … Ich BEKAM einfach so viele Bücher, wie ich brauchte.“, so erinnert er sich.

Heutzutage leben in Großbritannien über vier Millionen Kinder in Armut. Auch in Deutschland sind etliche Kinder betroffen, die sich arm und nicht zugehörig fühlen. Das facettenreiche Sachbuch „Was ist Zuhause?- Vom Wohnen, Leben, Weggehen und Ankommen“ setzt sich auch mit den schwierigen Aspekten dieses Themas auseinander. „Es gibt jede Menge Zahlen und Fakten, aber es geht auch um sehr ernste Themen, wie Flucht oder Obdachlosigkeit“, so die Autorin Kristina Scharmacher. Schon auf dem von Lena Hesse grandios gestalteten Cover in warmen Farbtönen ist ein augenscheinlich armer Mann zu sehen, der all sein Hab und Gut in einem Einkaufswagen aus dem Supermarkt trans-portiert. Für größere Familien ist es nicht immer leicht, ausreichend große und bezahlbare Wohnungen zu finden. „Auch Kinder und Jugendliche können obdachlos werden. Sie laufen weg, weil es in der Familie große Probleme gibt oder ihre Eltern sie so behandeln, dass sie es zu Hause nicht mehr aushalten,“ so ist es an einer Stelle zu lesen.

Onjali Q. Rauf lässt in „Die Nachtbushelden“ Hector erzählen und legt einen Kinderroman vor, der das Kunststück vollbringt, eine zunächst nicht sehr sympathische Hauptfigur zu präsentieren und zugleich eine fesselnde, berührende und differenzierte Geschichte zu erzählen. „Mir war schon vorher bewusst, dass Obdachlosigkeit ein Problem ist, das eigentlich jeden treffen kann, der aufgrund äußerer oder innerer Umstände in eine schwierige Lebenssituation gerät. Ich finde es aber gut, dass die Wohnungslosen als selbstbewusste Menschen gezeichnet werden, die sich gegen Hector beleidigendes Auftreten werden und auch die Suche nach dem Dieb entschlossen in die Hand nehmen, um ihre Unschuld zu beweisen,“ so Katharina Diestelmeier, die im Zuge der Übersetzung auch sorgfältig recherchiert hat, so etwa zu den sogenannten Obdachlosenzeichen, mit denen sie sich verständigen.

In „Kein Bett in der Nacht“ hat sich die portugiesische Autorin Maria Ines Almeida gemeinsam mit ihrem Sohn José mit dem Thema Armut und Obdachlosigkeit für jüngere Kinder auseinandergesetzt. Der Junge hatte die Idee zu diesem neuen Bilderbuch. „Bücher haben die Kraft, die Welt zu verändern und wir möchten gerne daran glauben, dass es eines Tages keine Menschen mehr gibt, die ohne Zuhause sind,“ so Almeida. Die von Catia Vidinhas gemalten und gemusterten Häuser in Blau-, Grau- und Brauntönen zeigen, wie schön und behaglich ein Zuhause ausschauen und tatsächlich auch sein kann, wenn man reich genug ist. „Es sollte ein sicherer Ort sein. Ein Ort, an dem unser Herz, unsere Seele und all unsere Erinnerungen Platz haben,“ ergänzt die Autorin noch. Aber dafür braucht man eben genug Geld, um die Miete zahlen zu können oder sich sogar ein Haus zu kaufen.

Wie das geht, solch ein Vorhaben zu finanzieren und was man alles rund um „Alles Geld der Welt - Vom Muschelgeld zur Kryptowährung“ wissen sollte, präsentiert uns Vitali Konstantinov in seiner typischen Manier. Aufgeteilt in drei Kapitel - Schenken, Tauschen, Kaufen/Aufstieg des Geldes/Geld nach dem Geld - sowie einem umfangreichen Anhang mit Zeitstrahl, Worterklärungen, Nachwort und zahlreichen Buchtipps und links - geht der Autor und Illustrator geschichtlich und thematisch ins Detail. All das, was heute so selbstverständlich erscheint, wie etwa unsere Geldmünzen und Scheine, wird in historischen Kontext gesetzt. Mit einer Reise durch Länder und Zeiten fasziniert Konstantinov auf seinen doppelseitigen Text-Bild-Panoramen. Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz. Geld- Experte Dr. Steinbach schreibt in seinem Nachwort: „Das Sprichwort „Geld regiert die Welt“, das Märchen vom „Sterntaler“ oder das Kinderlied „Taler, Taler, du musst wandern“ - sie alle drehen sich um das, wovon fast jeder gerne reichlich hätte: Geld!“

Und genau davon träumt auch der zwölfjährige Junge in „Der Tag, an dem ich versehentlich die ganze Welt belog“. Sein Traum wird völlig überraschend für ihn innerhalb der Kunstwelt wahr. Lisa Thompson gelingt ein kurzweiliger Kinderroman, der mit zwei Handlungssträngen begeistert. Cole löst das Rätsel um das Gemälde „Enigma in Öl“, das in dem Museum zu sehen ist, in dem seine Mutter bislang gearbeitet hat. Nun ist ihr Job in Gefahr, weil das Museum schließt. Das bedeutet für die Familie von Cole noch mehr Geldsorgen, als sie sowieso schon haben. Außerdem stellt der Schulbesuch der Künstlerin Marika Loft das bisherige Leben des Jungen auf den Kopf. „Als Cole dann mit der Kunstwelt in Berührung kommt, deren teils recht exzentrische Protagonisten es normal finden, märchenhaft hohe Summen aufzurufen, kommt er sich vor wie auf einem anderen Planeten,“ so Übersetzerin Silke Jellingshaus. Eine rundum liebenswerte Familie, Cole´s kleine Schwester Mabel und wie er es schafft, aus dem Lügengespinst herauszukommen - all das ist großes Lesevergnügen.

Auch die Bukowskis sind eine Familie, die warmherzig und liebevoll miteinander umgehen, und dass trotz aller Geldprobleme. Doch nun im dritten Band „Das Elser-Eck - Die Bukowskis machen weiter“ rettet eine Erbschaft ihr Leben und ermöglicht es ihnen, aus dem Büdchen einen beliebten Treffpunkt für alle zu machen. Alf erzählt von den aufregenden, neuen Ereignissen und seine Geschwister Katinka und Robbie sind natürlich auch wieder mit von der Partie. „Die Initialzündung hatte ich eines Nachmittags in der Halle des Bremer Hauptbahnhofs“, erinnert sich der Autor Will Gmehling. „Drei Kinder kamen mir entgegen. Sie sahen sehr selbstbewusst aus, doch leider sah man Ihnen auch an, dass sie aus einer armen Familie kommen. Da hörte ich im Vorbeigehen: „Das können wir uns nicht leisten, wir haben nur drei Euro.“ Dieser Satz kommt auch in meinem Buch wieder vor.“

Der zehnjährige Rupert Brown in „Super Reich“ hat so wenig Geld, dass er sich nicht einmal warme Schuhe kaufen kann. Und das, obwohl es Winter und wirklich bitterkalt ist. Doch dann gelangt Rupert ins Haus des reichen Turgid River und erlebt dort Unglaubliches. Polly Horvath ist eine mehrfach ausgezeichnete kanadische Autorin, die schon als achtjähriges Kind geschrieben hat und immer wieder mit ausgefallenen Charakteren und Geschichten aufwartet. Nach literarischen Vorbildern gefragt, antwortet sie: „Da gibt es einige Werke, die ich bewundere und die sich mit ungerechter Geldverteilung befassen. Bei Charles Dickens geht es oft im Hintergrund darum, wer genug hat und wer nicht. „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl hat ebenfalls einen armen Jungen als Hauptfigur“, so Horvarth. Und weiter: „Viel Geld zu haben, macht Dich reich. Aber das ist für Anfänger. Denn man muss sich ja immer fragen, von was man spricht: reich in geistiger Hinsicht? Voller Liebe? Reich beschenkt mit Freunden oder mit einem großzügigen Haus? Die Frage ist ja, nach welchem Reichtum man strebt?“