Enteignung
Der Roman des österreichischen Autors spielt in einem kleinen Ort im Voralpenland während eines drückend heißen Sommers. Schlank und nüchtern lässt der Autor aus zunächst eher zufälligen Begegnungen kammerspielartig verflochtene Beziehungen entstehen, mit überraschenden Entwicklungen. Die Art, wie er seine Figuren schildert, erinnert an Erzählweisen des 19. Jh., weil er auf jede Psychologie verzichtet. Der Protagonist Jan lebt allein im geerbten Haus seiner Tante. Er arbeitet für die Lokalzeitung, nachdem offenbar eine aufregendere journalistische Karriere hinter im liegt. Fast alles in seinem Leben ist unverbindlich, mit Ausnahme der Versorgung seines Katers. Aus Neugier beginnt er, auf einem Bauernhof in der Nähe mitzuarbeiten, der einem ehemaligen Schulkameraden gehört. Während der ersten Wochen als Helfer in dem Schweinmastbetrieb ist er völlig erschöpft, angewidert von dem stechenden Gestank und abgestoßen von der Art wie Flor und seine Frau Hemma mehr wie Arbeitstiere denn wie ein Paar leben. Bald wird Jan zu einem unentbehrlichen Mitarbeiter und entwickelt eine gewisse Solidarität mit dem unerbittlichen Kampf des Landwirtspaares um ihren Hof, der starkem Konkurrenzduck unterliegt. Jan wird "getränkt", "wie eingefärbt", von diesem Leben. Hemma beginnt eine Affäre mit ihm, sie treffen sich regelmäßig, wenn Flor mit seiner Geliebten Ines zusammen ist, eine Beziehung, um die Jan weiß. Diese Affären unterlegt Kaiser-Mühlecker mit einer Getriebenheit, die sich erst vom Ende des Romans aus erklärt. Dramatische Ereignisse, die Jan wieder auf seine frühere Position des Beobachters zurückführen. Ein ungewöhnlicher, aber lesenswerter Roman.
Gabie Hafner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Enteignung
Reinhard Kaiser-Mühlecker
Fischer (2019)
221 S.
fest geb.