Roter Flieder

In fast statischen Momentaufnahmen schildert der Autor eine Familie, deren Patriarch Anfang der vierziger Jahre als NS-Ortsgruppenführer sein oberösterreichisches Dorf verlassen muss und als Entschädigung einen Hof in Rosenthal erhält. Sein Sohn Roter Flieder Ferdinand bewirtschaftet den Hof, bleibt aber ohne augenfällige Erklärung ein Außenseiter. Die Enkel ungewollt kinderlos. Alle - akribisch geschilderten - Familientreffen und Begegnungen untereinander sind von etwas überschattet, das keinen Namen hat. War schon die Ehefrau des Oberösterreichers zu Lebzeiten verstummt, spricht als Erwachsene auch seine Tochter Marthe nicht mehr. Nichts wird ausgesprochen, keiner fragt nach, wenn ihm etwas seltsam vorkommen müsste. Erst nach etlichen hundert Seiten Lektüre wird dem Leser bewusst, dass der zu Anfang auftretende "Dorftrottel", ein behinderter Landarbeiter, die späteren Verhaltensweisen der Familienmitglieder gerafft wiedergibt. - Geht es dem Autor darum, eine lastende Schuld bis ins biblische siebte Glied darzustellen oder um das Verhaftetsein ganzer ländlicher Menschengruppen in eine unabänderliche Welt der schweigenden Übereinkunft, an der technischer Fortschritt und politische Umbrüche abprallen? So faszinierend die Darstellungs- und Bobachtungsgabe des Autors sind, ermüdet die Lektüre doch, weil jeder Moment, die lastende Vergangenheit zu erhellen, ungenutzt verstreicht. Man spürt nur zu deutlich die Auswirkungen, erfährt aber nie das Warum. Ungeeignet für an "Action" gewöhnte Menschen, geeignet für literarisch interessierte Leser.

Pauline Lindner

Pauline Lindner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Roter Flieder

Roter Flieder

Reinhard Kaiser-Mühlecker
Hoffmann und Campe (2012)

621 S.
fest geb.

MedienNr.: 366312
ISBN 978-3-455-40423-4
9783455404234
ca. 24,99 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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