Alles hat seine Zeit - Zeit und Tod im aktuellen Kinderbuch
Immer wieder werden KünstlerInnen dazu inspiriert, sich ganz unterschiedlich mit diesen existentiellen Themen auseinanderzusetzen und Kindern so die Möglichkeit zu geben, sich damit zu beschäftigen. Einige interessante Neuerscheinungen zu diesem Themenbereich hat Antje Ehmann für Sie ausgewählt.
Kenner der Kinderliteratur erinnern sich beim Thema Zeit schnell die grauen Herren, die Zeitdiebe aus Michael Ende´s berühmtem Kinderroman „Momo“. Autorin Louise Greig fängt gemeinsam mit der Illustratorin Ashling Lindsay auf sehr besondere, sensible und charmante Art im Bilderbuch das Thema ein. „Zwischen Tick und Tack“ so lautet der deutsche Titel ihrer zweiten gemeinsamen Arbeit nach „Wenn die Nacht erwacht“. Es geht um eine atemlose Großstadt und ein Mädchen namens Liesel, das in der Lage ist, die Zeit kurz anzuhalten. „Psssssst schwillt an wie ein stilles Meer und verschluckt jeden Laut. Augen fallen zu. Alles und jeder rastet in einen Stillstand ein.“ - so die von Uwe Michael Gutzschhahn ins Deutsche übersetzten lyrisch anmutenden Zeilen. Während des Vorlesens verliert sich das Auge des Betrachters in den in harmonischen Farbtönen gestalteten Ilustrationen, die ganz verschiedene Momentaufnahmen einer verzauberten Stadt zeigen.
Bettina Obrecht hat mit ihrem neuen Kinderbuch „Dann gehe ich jetzt, sagte die Zeit“ einen sehr schlüssigen Zugang zu diesem nicht ganz einfachen Thema gefunden. Julie Völk gibt der personifizierten Zeit ein originelles Gesicht. „Der Text macht den Umgang mit der Zeit durch die Sprichwörter so anschaulich und ich mochte die Herausforderung, eine passende Darstellungsform zu finden,“ so die ausgezeichnete Illustratorin. Das neugierige Mädchen Lara spricht mit vielen Menschen und Tieren, immer auf der Suche. Sie möchte wissen, was es mit der Zeit auf sich hat und bekommt ganz unterschiedliche Antworten. „Es gab einen Hauptentwurf und durch Ausprobieren bin ich dann auf weißen Buntstift und farbiger Pastellkreide als Hintergrund gekommen,“ ergänzt die Illustratorin. Ein Angesicht, dass man nun im Kopf hat, wenn man über die Zeit nachdenkt und ein anregendes Buch für Familien und Grundschulkinder.
Auch als Dialogimpuls - vor allem zwischen den Generationen - eignet sich das zweisprachige Bilderbuch des kolumbianischen Künstlers Samuel Castano Mesa „Die Uhr meines Großvaters - El reloj de mi abuelo“. Eher zarte, verhaltene Ilustrationen - eine Kombination aus Bleistift, Aquarellfarben und Collage - entführen uns in eine fremde und zugleich doch vertraute Welt. Der Tod des Großvaters stellt die Welt des Enkelsohnes auf den Kopf. „Mit der Zeit kommt auch der Tod. Er unterbricht das gewohnte Leben und bringt uns durcheinander. Er bringt Stillstand, aber zugleich ist er Antrieb für Veränderungen.“ - so formuliert der Autor in seinem Nachwort. Und es dauert eine Weile, bis der Junge den Faden wieder aufnehmen kann und die für die Familie so bedeutsame Pendeluhr mit dem kleinen Schlüssel nun selbst aufzieht. „Das Buch berührt, ohne sentimental geschweige denn kitschig zu sein und die visuelle Umsetzung der Trauer und des Verlustgefühls ist ebenfalls sehr gelungen. Durch seinen Tod ist alles vereinzelt und nichts mehr zusammengefügt,“ so Übersetzer Jochen Weber dazu.
Eine Brücke zwischen Vater und Sohn vermag hingegen der Tod eines ungewöhnlichen Haustieres zu schlagen. In „Ein eiskalter Fisch“ erlebt der Junge eine ganz andere Seite seines Papas. Der Tod des Fisches macht ihn weich, er weint und nimmt seinen Sohn fest in den Arm. Für den ist das eine Riesenüberraschung, die seinen Schmerz mindert. „Kinder können durch die Pflege und die Liebe zu Haustieren in gewisser Weise auch den Umgang mit dem Tod erlernen. Ich finde das wichtig, denn Sterben und Abschiednehmen gehört zu unserem Leben und wird ihnen auf jeden Fall früher oder später begegnen“, sagt die Autorin Frauke Angel, die sich in diesem Fall von ihrer eigenen Biographie inspirieren lassen hat. Eine intensive Familienepisode, die durch die lebendigen Ilustrationen von Elisabeth Kihßl noch eine zusätzliche, besondere Note bekommt.
In dem mit dem Luchs des Jahres 2019 ausgezeichneten Kinderroman „Sasja und das Reich jenseits des Meeres“ geht ebenfalls ein Junge auf die große Reise und macht sich nach dem Tod seiner Mutter für Abenteuer bereit. Die vielfach ausgezeichnete schwedische Kinderbuch-autorin Frida Nilsson ist auch in der hiesigen Kinderliteraturlandschaft eine feste Größe. Illustrator Torben Kuhlmann, verantwortlich für die ausdrucksstarken Cover, zu seiner Arbeit: „Sasjas Überfahrt ins Reich des Todes in einer stürmischen Nacht ist einer der dramatischsten Momente. Dem wollte ich gerecht werden mit einer kontrastreichen Mondstimmung, aufschäumenden Wellen und Wolkenbergen. Die Geschichte hat eine leicht surreale Note, die das eher schwere Grundthema Tod gekonnt abfedert.“ Ein Buch, empfehlenswert für Kinder ab zwölf Jahren.
Sehr real hingegen ist die Situation, mit der sich der vierzehnjährige Ben von einer Minute auf die andere konfrontiert sieht. In „Der große schwarze Vogel“ erzählt Stefanie Höfler intensiv und auf der Basis persönlicher Erfahrungen die Geschichte vom plötzlichen Tod seiner Mutter. „Niemand weiß genau, wie er mit Menschen umgehen soll, die davon plötzlich betroffen sind, so wie Ben und seine Familie. Darum steht genau das im Zentrum meines Buches: dieser Schatten, der auf die Trauernden fällt und mit dem man leben muss, und wie diejenigen damit umgehen, die eben nicht unter diesem Schatten stehen, sondern daneben.“, so Höfler zu ihrer Schreibmotivation. Für die gewinn-bringende Lektüre aktueller Jugendliteratur im Unterricht gibt es eine empfehlenswerte Lehrerhandreichung in der Reihe „Lesen - Verstehen - Lernen“ - erschienen bei Gulliver, Beltz dazu. „Wie das Leben durch die Trauer bricht und sich seinen Raum zurückerobert, wie Trauer und Lebenslust absolut zusammengehören - all das wollte ich gerne erzählen,“ so die Autorin noch. Das ist ihr zweifellos beeindruckend gelungen.
Auch bei dem Bilderbuch von Bette Westera und Sylvia Wewe spürt man die ganz besondere, intensive Stimmung, die fast immer da ist, wenn es um den Tod geht. „Jawlensky. Mit ihren Augen“ stellt schon durch ein ausgefallenes Titelbild - ein liegendes, sehr großes und farbiges Porträt - den engen Kontakt zum Betrachter her. Ein Junge beschäftigt sich mit dem Tod seiner Mutter, sucht Nähe und malt ihr verschiedene Bilder. „An dem Text fasziniert mich die Wärme und die Weite,“ so Rolf Erdorf. Der russisch-deutsche Künstler Alexej von Jawlensky - einer der Mitbegründer der Künstlergemeinschaft „Der blaue Reiter“ - stand für dieses Bilderbuch Pate und die beiden Künstlerinnen haben sich von ihm inspirieren lassen. Auch „Überall&Nirgends“ ist ein weiteres herausragendes Werk zum Thema Tod. „Beim Umgang mit Tod und Sterben ist meine Lebenserfahrung: Geh näher ran, dann ist es viel leichter zu ertragen und das macht dieses Buch,“ so ergänzt der Übersetzer noch. Genau dazu laden die vorgestellten Kinderbücher ein.