Rücken an Rücken
Der Subtext dieses emotionalen Familien- und Liebesromans der bekannten Autorin (Deutscher Buchpreis 2007 für "Die Mittagsfrau": BP 07/803) lautet: Der DDR-spezifische Sozialismus löste den Menschen zwar aus seinen durch Religion und bürgerliche Moral vorgegebenen "Fesseln", aber er führte gleichzeitig zu seiner Enthumanisierung und macht ihn nicht glücklich. Tatsächlich gibt es keine einzige in sich ruhende glückliche Figur. Die Mutter des im Titel gemeinten Geschwisterpaares ist eine glühende Kommunistin und eine von der gesellschaftlichen Relevanz ihres Künstlertums zutiefst überzeugte Bildhauerin. (Diese ist übrigens der Großmutter der Autorin, Ingeborg Hunzinger, nachempfunden.) Muss sie deshalb gleichzeitig ein derart gefühlskaltes Monster sein, bar jeglichen Verantwortungsgefühls für die eigenen vier Kinder, von denen sie zwei völlig emotionslos in ein Heim abschiebt während sie die beiden älteren Geschwister ohne jede mütterliche Zuwendung aufwachsen und physisch und psychisch verwahrlosen lässt? Erst nach dem Freitod des Sohnes zeigt sie eine gewisse reuevolle mütterliche Empfindung. So verachtenswert das Stasi-Regime auch war - muss deshalb der Stasi-Mitarbeiter korrupt und außerdem ein perfider Vergewaltiger sein? Waren die Bedingungen der sozialistischen Arbeitswelt so menschenverachtend, dass zwangsläufig eine nicht zu überbietende Verrohung den Arbeitsalltag bestimmte? Schade, dass eine Autorin, die so unerhört fesselnd, so bildmächtig und eindringlich erzählen kann, sich in Hinsicht auf den Plot auf eine allzu plakative Ebene begibt. Möglicherweise liegt dies an den persönlichen leidvollen Erfahrungen der 1970 in Ostberlin geborenen Autorin, die erst 1978 in die BRD gelangte. Die teilweise allzu klischeehafte Darstellung dürfte allerdings einem breiten Erfolg des Romans nicht im Wege stehen, zumal natürlich auch eine tragische Liebesgeschichte nicht fehlt.
Rücken an Rücken
Julia Franck
S. Fischer (2011)
380 S.
fest geb.