Mythos Redemacht
Im antiken Griechenland hat es Plutarch unternommen, jeweils einen berühmten Griechen und Römer gleichsam als Paar vorzustellen. Davon ließ sich der Germanistikprofessor Karl-Heinz Göttert dazu anregen, bei jeweils einem alten und einem modernen Redner Ähnlichkeiten zu zeigen und daran die Macht der Rede zu vergegenwärtigen. So stehen überraschend z.B. Cicero und Joschka Fischer oder Augustinus und Otto von Bismarck nebeneinander. Knapp, aber wirklich informativ wird eine Persönlichkeit in ihrer historischen Situation vorgestellt, bevor eine ihrer Reden analysiert wird. Die ausgewählte Rede zeigt Parallelen zu der des jeweiligen Partners, so z.B. Kennedys Rede in Berlin und Willy Brandts erste Regierungserklärung. Viele Einzelaspekte finden in kurzen Zwischenkapiteln Beachtung, so das Verhältnis von Predigt und Rhetorik, die Bedeutung von Vortrag, Auftreten und Charisma oder auch Redenschreiber. Wie ein Leitfaden zieht sich die Erkenntnis durch, dass der Erfolg einer Rede auf dem vorgezeigten Können und Beherrschen der abendländischen Rhetorik beruht. Nur mit dieser Kunst sei für einen Redner in unserem Kulturkreis eine Glaubwürdigkeitslücke zu schließen. Göttert führt vor, dass Politik nicht ohne sprachliche Macht funktioniert, durch Reden Autorität gewonnen werden kann, und erklärt die Macht der Wahrheit zum Mythos. Mutig wird dann auch die Frage behandelt, ob Hitler ein großer Redner war. Mit Literaturverzeichnis sowie mit Sach- und Personenverzeichnis ausgestattet - ein wirklich interessantes und meist sogar kurzweiliges Buch!
Bernhard Grabmeyer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Mythos Redemacht
Karl-Heinz Göttert
S. Fischer (2015)
510 S.
fest geb.