Atlas eines ängstlichen Mannes
Ein Mann steht am Nordpol und schlägt achtzehn Golfbälle in alle Himmelsrichtungen, flüchtige Kalligraphie in einem Fluss, eine mächtige Anakonda auf einer staubig-roten Landstraße, schneeweiße Lackschuhe in einem Schuhgeschäft, Aufräumarbeiten nach einem Tsunami, die Begegnung mit einem Buckelwal in den Wassern der Karibik - solche Beobachtungen und Erlebnisse aus vielen Reisejahren schildert Ransmayr in siebzig Episoden, die alle mit "Ich sah ..." beginnen. In einer erlesenen Sprache erzählt er unaufgeregt von Leben und Sterben, Angst und Glück, vom Kindheitsversteck oder der Weite des Firmaments. Oft ohne besondere Pointe, manchmal eine gehörte Geschichte wiedergebend, öffnen Ransmayrs dichte Beschreibungen dem Leser ein Fenster zu anderen Orten, Zeiten und Menschen. Sie entwickeln einen Sog, ziehen mitten hinein in die Szenen und weit über sie hinaus, die Sehnsucht nach den großen und kleinen Wundern dieser Welt anrührend. Das Buch ist wahrlich ein Atlas, ein reicher Schatz. Unbedingt lesen!
Barbara Sckell
rezensiert für den Borromäusverein.
Atlas eines ängstlichen Mannes
Christoph Ransmayr
S. Fischer (2012)
455 S.
fest geb.
Auszeichnung: Roman des Monats