Zehn Minuten und ein ganzes Leben
Was bleibt am Ende des Lebens? Dieser Frage widmet die Berliner Autorin Manuela Reichart ihr schmales Prosabändchen. In 70 literarischen Szenen, die maximal zwei bis drei Seiten, zumeist jedoch nur wenige Sätze bzw. Satzteile umfassen, erinnert sich
eine Sterbende an Situationen, in denen sich Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend sowie aus ihrer Zeit als Geliebte, Ehefrau und Mutter widerspiegeln. "Die kleinen Körper in der Badewanne, ... die strahlenden Augen beim Toben morgens im Bett? War das das Glück?" Und die Liebe, "die den Ansprüchen gerecht werden" sollte? Sie erweist sich im Alltag als eine "pragmatische Zwei-Kinder-Hund-Fahr- und Frühstücksgemeinschaft mit integriertem regelmäßigen Sex ..." Da die meisten ihrer Träume unerfüllt geblieben sind, hat sie lernen müssen, mit Enttäuschungen umzugehen. - Die lakonisch und pointiert schreibende Berliner Autorin verschweigt Defizite nicht. Im Gegenteil, die schonungslose Offenheit, mit der sie ihre Protagonistin über zum Teil bittere Erfahrungen erzählen lässt, macht betroffen. Indem die lesenswerten Erinnerungsbilder emotional berühren und nachdenklich stimmen, regen sie an, sich über das Wesentliche im Leben bewusst zu werden.
Kirsten Sturm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Zehn Minuten und ein ganzes Leben
Manuela Reichart
S. Fischer (2012)
109 S.
fest geb.