Der absolute Feind
Ein Schriftsteller, der analytische Philosophie studiert hat, bekommt von dem (erfundenen) Berliner Galeristen Georg Voigtländer den ungewöhnlichen Auftrag, dessen Biografie zu schreiben. Und noch mehr: Er soll erkunden, was Voigtländer, den Lesende aus einem früheren Roman als frustrierten und psychiatriereifen Schriftsteller kennen könnten („Fall“, 2012), dazu gebracht hat, Kunsthandel zu treiben. Das ist die Versuchsanordnung, die Ernst-Wilhelm Händler in seinem jüngsten Roman aufbaut und mithilfe der recht angriffslustigen Fantasie seiner Schriftstellerfigur problematisiert. Im Annähern an den Galeristen entsteht ein Porträt dieses Berufsstands, der sich als beobachtende Teilnahme am Kunstgeschehen erklären lässt. Das geschieht eindringlich und mit durchaus liebevoller Ironie gegenüber dem Kunstbetrieb, die auf den großen Messen in Hongkong und Venedig, auf der Art Cologne und der Biennale in Venedig studiert und in Geschichten von Sammlern und Ausstellungsmachern, Kuratoren und natürlich Künstlern erzählt wird. Der Roman stellt interessante Fragen: Warum kauft man eigentlich ein Kunstwerk? Worin unterscheiden sich Schreibende von bildenden Künstlern der Gegenwart? Wie stehen sich Literatur und Kunst gegenüber: im Zweikampf um die Gunst des Publikums, in der Konkurrenz um ein Gesamtbild, auf unterschiedlichen Wegen mit gemeinsamem Ziel? Gibt es eine Verwechslungsgefahr? Ist jeder, dessen Werke sich gut verkaufen, dann automatisch bedeutend? Und wie viel hat Philosophie in der Literatur zu suchen? Bei dieser Frage jedoch brennt der Philosoph dem Autor durch; Ernst-Wilhelm Händler belastet seinen Roman manchmal mehr mit dem Nachdenken über Gegenwartskunst, als dass er ihn damit befeuert. Am Ende des Romans löst sich dem Biografen sein Gegenstand in Einzelteile auf, die er nicht mehr zusammensetzen kann; der Galerist bleibt ein Künstler ohne Eigenschaften. Anspruchsvolle, manchmal anstrengende, aber erhellende Lektüre!
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Der absolute Feind
Ernst-Wilhelm Händler
S. Fischer (2023)
414 Seiten
fest geb.