Der verlorene Vater
Ka hat ihre erste Statue verkauft. Sie stellt ihren Vater dar, einen haitischen Flüchtling, der während der Duvalier-Diktatur im Gefängnis misshandelt wurde. Gemeinsam fahren sie in den Süden der USA, um die Skulptur auszuliefern. Doch anstatt sich auf der Reise näherzukommen, gesteht ihr Vater Ka sein dunkelstes Geheimnis. Es stimmt, dass er im Gefängnis war und sich dort die tiefe Narbe in seinem Gesicht zugezogen hat, aber er war kein Opfer. Er war Täter. Jahrelang hat er Menschen missbraucht, gefoltert, Familien auseinandergerissen, Leben zerstört, gemordet. Seine Albträume handeln nicht von seinen Folterern, sondern von seinen Opfern. Seit der Flucht in die USA lebt er so abgeschieden wie möglich, aus Angst, erkannt zu werden. Doch hat er wirklich eine zweite Chance verdient? Wie kann man solch einen Menschen lieben? In den folgenden Kapiteln werden verschiedene Schicksale von Haitianern erzählt, die alle durch die Herrschaft von Papa Doc und Baby Doc verwoben sind. Wie kann man als Kind eines Täters oder Opfers mit dem Unaussprechlichen umgehen? Nicht unnötig dramatisch, sondern eher ruhig, unaufgeregt erzählt der Roman von menschlichen Abgründen. Gerade dieser Erzählstil macht es unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen. Erschütternd und unbedingt empfehlenswert! (Übers.: Susan Urban)
Verena Aignesberger
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der verlorene Vater
Edwidge Danticat
Unionsverl. (2013)
Unionsverlag-Taschenbuch ; 631 : metro
239 S.
kt.