Deine kalten Hände

Bevor Jang Unhyong spurlos verschwindet, lässt er einer Journalistin sein Tagebuch zukommen. In ihm erzählt er die Geschichte seiner Kindheit und Jugend und vor allem die seines Werdeganges als Bildhauer und seiner Beziehung zu seiner Muse L. Als Jang L. kennenlernt, ist er sofort fasziniert von ihren zarten Händen, die so gar nicht zu ihrem ansonsten schwer fettleibigen Körper passen. Jangs Kunst besteht darin, Gipsabdrücke von menschlichen Körpern oder Körperteilen anzufertigen, diese auseinanderzubrechen und wieder neu zusammenzusetzen. Das macht er auch mit L., zuerst mit ihren Händen, dann mit ihrem ganzen Körper, der ihn entgegen allen konventionellen Schönheitsvorstellungen so sehr fasziniert, dass er eine Affäre mit ihr beginnt. Sie vertraut ihm an, dass ihre Esssucht vom sexuellen Missbrauch durch ihren Stiefvater ausgelöst wurde. Doch die Beziehung erweist sich als nicht stabil. - Das große Thema der südkoreanischen Star-Autorin ist die Selbstzerstörung der Frau als Protest gegen die patriarchal geprägte Gesellschaft, meisterhaft umgesetzt in ihrem 2017 erschienenen Roman "Die Vegetarierin" (in BP/mp nicht bespr.). "Deine kalten Hände", in Süd-Korea schon 2002 erschienen, wirkt wie eine Fingerübung dazu. Sehr beeindruckend und bedrückend drastisch ist Han Kangs Schilderung vom Teufelskreis der Essstörung, in die sich L. hineinsteigert, zuerst in die eine Richtung, um einen Mann abzustoßen, dann in die entgegengesetzte, um einem anderen zu gefallen. Der Roman hat einen Platz in großen Beständen verdient, aber an die Brillanz der "Vegetarierin" kommt er bei Weitem nicht heran. (Übers.: Kyong-Hae Flügel)