Was fehlt
Die gesammelten Essays der amerikanischen Autorin Tillie Olsen, die erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen, öffnen den Blick für das Schweigen in der Literatur. Mit revolutionärer Fragestellung und akribischer Herangehensweise spürt sie die Gründe auf, die zum Verstummen führen, und zeigt die Umstände, die bewirken, dass literarische Stimmen nicht gehört werden. Sie geht auf die Beziehung zwischen Lebensumständen und schöpferischer Arbeit ein und ruft das jahrhundertelange Schweigen der Frauen in Erinnerung. Lange Zeit war der Zugang zur Bildung eingeschränkt, Schreiben war nur wenigen Privilegierten möglich. Was braucht das Schöpferische, um sich verwirklichen zu können? Anhand von Tagebucheinträgen, Briefen und literarischen Texten unterschiedlicher Autor/-innen zeigt Olsen die Mechanismen, die zum Schweigen führen. Dazu gehören politische Repressionen wie Zensur und Diskriminierungskategorien wie Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung und soziale Klasse. Olsen gelingt es, den Blick von den individuellen Lebensbedingungen hin zu einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu weiten. Für alle Literaturinteressierten unbedingt zu empfehlen.
Gertrud Plennert
rezensiert für den Borromäusverein.
Was fehlt
Tillie Olsen ; aus dem Amerikanischen von Nina Frey und [einem weiteren]
aufbau (2022)
350 Seiten : Illustration
fest geb.