Jeder schreibt für sich allein

Anatol Regnier (geb. 1945), dessen Eltern Pamela Wedekind und Charles Regnier als Künstler in den Kulturbetrieb des NS-Staates verstrickt waren, nimmt den Leser mit auf eine literarische Reise in die Zeit von 1933 bis 1945 und zeigt, wie der Nationalsozialismus Jeder schreibt für sich allein mit Schriftstellern umging, insbesondere jedoch, wie sich diese dem Regime gegenüber verhielten. Dabei interpretiert er die Verhaltensweisen, Ansichten wie Motivationen der einzelnen Autoren nicht aus seiner Perspektive, sondern lässt sie - darunter noch heute bekannte Namen wie Gottfried Benn, Erich Kästner, Hans Fallada - in Briefen, Tagebüchern, Gesprächsaufzeichnungen und Protokollen selbst zu Wort kommen. Diese unterschiedlichen Zeugnisse zeichnen nicht nur das Bild einzelner Persönlichkeiten, sie erzählen auch von den damaligen Zeitumständen, von staatlicher Überwachung, Zensur, Schreibverbot und Bücherverbrennung sowie von freiwilliger und erzwungener Emigration (u.a. Heinrich, Thomas und Klaus Mann, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger). Es ist bedrückend zu lesen, dass diejenigen, die in Hitler-Deutschland geblieben sind, dieselben widersprüchlichen Verhaltensmuster an den Tag legten wie Millionen andere Deutsche auch: Sie waren gutgläubig, naiv, überzeugt, das Richtige zu tun, sie verharmlosten, verhielten sich opportunistisch, skrupellos und egoistisch. Andere jedoch wollten einfach nur schreiben und ihre Bücher etc. verlegt wissen - das konnten sie nur als registrierte Mitglieder der Reichsschrifttumskammer - und versuchten, moralisch sauber zu bleiben. Regnier schließt seine Abhandlung mit Eindrücken aus den Nachkriegsjahren, die - wie allgemein üblich - von Schweigen, Leugnen und der Abkehr von der Vergangenheit geprägt waren, in denen aber auch erfolgreicher Neustart (z.B. Erich Kästner) und - erstaunlicherweise - internationaler Ruhm trotz Festhaltens an alten Überzeugungen (u.a. Gottfried Benn) möglich waren. - Für alle Büchereien sehr zu empfehlen!

Inge Hagen

Inge Hagen

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Jeder schreibt für sich allein

Jeder schreibt für sich allein

Anatol Regnier
C.H.Beck (2020)

366 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 602573
ISBN 978-3-406-75592-7
9783406755927
ca. 26,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Li
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