Drachentanz
Eindringlich und letztendlich sehr besorgt zeichnet der ZEIT-Korrespondent Matthias Naß die Geschichte und Entwicklung Chinas bis heute nach: wirtschaftlich modernisiert, politisch aber auf Repression setzend und ideologisch rückwärtsgerichtet. Außenwirtschaftlich am bedeutsamsten ist das Riesenprojekt „Neue Seidenstraße“, das weltweit moderne Infrastruktur zu Wasser und zu Land schafft. Ziel dahinter ist die Verwirklichung des chinesischen Traums, wieder einen historischen Rang in der Welt einzunehmen. Einzelne Länder in Europa zeigten besonderes Interesse. Griechenland (Hafen von Piräus), Ungarn und Italien ließen sich - salopp gesagt - locken und kaufen. Politisch gesehen wurde die EU dadurch gespalten. Was der Autor aus dem Bereich Innenpolitik besonders herausstellt, ist die mangelnde politische Anziehungskraft Chinas. Es fehlt dem Land an „soft power“. Stattdessen herrscht eine immer ausgeklügeltere innere Überwachung, weitere Stichwörter sind Zensur, Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung von Minderheiten, Einparteien-Diktatur, Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre sowie aggressive Spionage (Huawei). 2021 fühlen sich die meisten Völker und Staaten vom „Modell China“ abgestoßen, es ist bestimmt kein Sehnsuchtsstaat. Mitten in der Coronakrise legt sich China durch sein aggressives Auftreten mit der halben Welt an. Aus Sicht der USA ist China eine Bedrohung für die freie Welt. Für Naß steht fest: Die 10 Jahre anhaltende China-Euphorie weicht einer tiefen Desillusionierung. China befindet sich mit dem Rückfall in die Diktatur auf dem Irrweg. Die Führung müsste wieder mehr Freiheit wagen. Eine anschauliche, übersichtliche, mit Anekdoten, Zitaten und Zahlen ergänzte, gut lesbare geschichtliche und aktuelle Betrachtung, aus der man die Meinung des Autors immer direkt und deutlich herauslesen kann.
Berthold Schäffner
rezensiert für den Borromäusverein.
Drachentanz
Matthias Naß
C.H.Beck (2021)
319 Seiten : Illustrationen, Karten
fest geb.