Venushaar

Auf der einen Seite ist da der Dolmetsch. Ein Russe, der in der Schweiz als Übersetzer bei der Asylbehörde arbeitet und Tag für Tag unglaubliche Lebensgeschichten hört, wahre wie ausgedachte. Der Dolmetsch hat eine eigene solche Geschichte, eine die von gescheiterter Liebe und einem verlorenen Sohn erzählt. Auch die Sängerin Isabella, viele Jahre vor dem Dolmetsch in Russland geboren, hat viel zu berichten. In ihrem Tagebuch schreibt sie über Liebe, Krieg, Leben und Tod, über Verlorenes und Wiedergefundenes. Auch der Soldat wiederum weiß vom Krieg, aber auch von Liebe, von Tod und Güte. Michail Schischkin hat seinen Roman komplex aufgebaut, unvermittelt folgt eine Lebensgeschichte auf die nächste. Erst nach und nach findet der Leser den Faden, den er sucht, um ihn sofort wieder zu verlieren, neu aufzunehmen, wieder ratlos zu bleiben. Schischkin fordert mit seinem Roman den Leser ganz, lässt ihn teilhaben an seinen eigenen, manchmal scheinbar wirren Gedankenfolgen. Ein Wort, eine Idee, die sich verselbstständigt, zu einem Fluss wird, der das ganze Leben durchspült, alles mitreißt und verschlingt. So fließen dem Autor immer wieder die Worte aus der Feder, verbinden Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit und menschliche Schicksale, um am Ende zu zeigen, was wirklich wichtig ist, was wirklich bleibt: Liebe und Glück, trotz allem. Menschliche Freude, menschliches Leben, eine Verbundenheit über alle Grenzen hinweg. Alles andere als eine leichte Lektüre, geeignet nur für anspruchsvolle Leser mit großem Wissenshorizont. Wegen der vielen wertvollen Gedanken und inhaltsschweren Sätze empfehlenswert für Büchereien mit entsprechendem Publikum - oder wegen des großen Interpretationsbedarfs vor allem für Literaturkreise. (Übers.: Andreas Tretner)