Die Kirche brennt
Das Bild, das Andrea Riccardi, Historiker und Gründer der Gemeinschaft Sant' Egidio, vom Zustand und erst recht von den Aussichten der katholischen Kirche in Europa zeichnet, könnte düsterer nicht sein. Die brennende Kirche Notre Dame in Paris ist für ihn ein Symbol dafür. Und doch ist es gerade die Perspektive des auf großartige Pastoral- und Reformpläne verzichtenden Historikers, die durch eine exakte geschichtliche Ausmessung aller Krisenphänomene auch etwas Licht am Horizont erkennen lässt, zumindest jedoch kontroverse Diskussionen um kirchliche Erneuerung aus ihren Sackgassen befreien kann. Da wird zwar radikal alles in Frage gestellt: die gesellschaftliche Entwicklung in Europa, die aktuelle politische und geistige Kraft christdemokratischer Parteien, die Rolle des Nationalkatholizismus; selbst das Wirken der letzten Päpste wird hinterfragt und in seinen Grenzen aufgezeigt. Doch reißt Riccardi keine neuen Gräben auf, weist eher auf Kontinuitäten hin und versucht, päpstliches Handeln in seiner Bindung an die jeweiligen Zeitumstände zu verstehen. Der Leser erkennt, dass die Kirche selbst in ihrem Existenzkampf noch lebt und auch ein gewaltiges Potential zu einer echten Reform hat, die keineswegs so aussehen muss, wie man es sich oft vorstellt. Ein Buch, das trotz seines Akzentes auf die romanischen Länder die Diskussion auch bei uns versachlichen kann!
Richard Niedermeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Die Kirche brennt
Andrea Riccardi ; übersetzt aus dem Italienischen von Gabriele Stein
echter (2023)
286 Seiten
kt.