Wenn wir Tiere wären

Nietzsche bezeichnete den Menschen als "nicht festgestelltes Tier": Herausgefallen aus der Naturordnung, sei sein Leben eine offene Frage, sein Dasein ein Labyrinth. Wenn wir heute Tiere wären, wie würden wir dann mit diesem Urteil der Unfertigkeit Wenn wir Tiere wären umgehen? Das ist die Experimentalsituation im Roman von Wilhelm Genazino, dem Spezialisten für die "kleinen zärtlichen" und die bösen Lebenslügen der Angestelltenwelt. Nun: Die Hauptfigur ist ein genretypischer Genazino-Erzähler, ein "Liebesangstflüchtling", von Gott zum "Problemkomplikateur" stigmatisiert, wie er meint. Im wirklichen Leben ist er ein geschiedener und halbglücklich liierter Architekt, der sich auf dem Weg zum Glück in glücksfernen Zeiten in lauter Nebensachen verliert, der lieber die älteren Kleidungsstücke anzieht als die neuen, nichts mehr als Attacken auf sein Freiheitsgefühl fürchtet und keinerlei Scheu hat, mit einem gefundenen Personalausweis in fremdem Namen Versandwaren zu bestellen. Das entfremdet ihn der Partnerin Maria und führt ihn der Witwe eines verstorbenen Arbeitskollegen zu. Das bringt ihn aber auch, wegen des Betrugs, zeitweise ins Gefängnis. In einem solchen Leben gibt es nichts zu lernen, nur die Tricks, mit denen der tagtägliche Ekel an der "Gebrauchtheit der Welt" überwunden wird. Davon erzählt der Büchnerpreisträger Genazino mit einer Mischung aus munterer Satire und bitterer Melancholie, die ihm so leicht keiner nachmacht. Ein Lebensleidensbuch über die Macht der Gegenwart und die Ohnmacht des Menschen und über die Sehnsucht, dieses Verhältnis umzukehren. Für größere Bestände eine Bereicherung. (Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2011 - Longlist)

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Wenn wir Tiere wären

Wenn wir Tiere wären

Wilhelm Genazino
Hanser (2011)

158 S.
fest geb.

MedienNr.: 349833
ISBN 978-3-446-23738-4
9783446237384
ca. 17,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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