Marias Testament

Das Theaterstück "The Testament of Mary", aus dem der Roman des irischen Schriftstellers Colm Tóibín entspringt, wurde im Frühjahr 2013 am Broadway schon nach zwei Wochen wieder abgesetzt, nachdem die American Society for the Defense of Tradition, Marias Testament Family and Property gegen das vermeintlich "blasphemische Stück" protestiert hatte. Aus deutscher Sicht mag das, auf den Roman bezogen, der ja auf theatrale Freiheit verzichtet, etwas überzogen wirken, zumal der Autor betont hat, er wolle keine Ikonographie reduzieren, sondern eine Ikone erforschen. Jedenfalls ist es eine ganz andere Mariengeschichte, die hier erzählt wird. Tóibín lässt seine Hauptfigur ohne die Dogmen und Traditionen der Kirche auftreten, jenseits des Ostergrabens also. Maria lebt im Alter in Ephesos, allein, kontrolliert von zwei Jüngern, die sie auf die frühen Lehrverkündigungen verpflichten wollen. Doch Marias Erinnerungen sperren sich dagegen. Die Ereignisse aus den Evangelien kommen vor, die Auferweckung des Lazarus und die Hochzeit zu Kana. Nur Marias Sicht unterscheidet sich beträchtlich von dem aus der Bibel Bekannten. Hier spricht eine fast untröstliche, eine leidende und ängstliche Mutter, eine Zweiflerin, die glaubt, dass der grausame Kreuzestod ihres Sohnes die Welterlösung "nicht wert" war. So entwirft der Roman ein - zugegebenermaßen fiktionales - Marienbild abseits der überlieferten Mariologie, bibelkundig und bibelkritisch zugleich. Und stellt eine Frage, mit der sich auch aus kirchlicher Sicht auseinanderzusetzen lohnt: wieviel die Mutter Jesu mit der späteren Mariologie zu tun hat. - Allen Beständen empfohlen. (Übers.: Ditte u. Giovanni Bandini)

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Marias Testament

Marias Testament

Colm Tóibin
Hanser (2014)

126 S.
fest geb.

MedienNr.: 396772
ISBN 978-3-446-24484-9
9783446244849
ca. 14,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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