Lichtveränderung

Für Gedichtbände gibt es keine eigene Signaturgruppe. Sie entziehen sich der Klassifizierung, finden sich in den Büchereien meist eingereiht in die nach Autoren geordneten Prosawerke. Das wird besonders den Texten des in Ost-Berlin aufgewachsenen Lyrikers Tom Schulz kaum gerecht, gerade auch, weil er neben den Versen in freier Rhythmik wunderschöne Prosagedichte schreibt. Schulz (Jahrgang 1970), der seit 2002 als freier Schriftsteller arbeitet, ist den Lyrik-Liebhabern bekannt, verdient jedoch gerade mit dem vorliegenden Gedichtband (nach "Innere Musik" 2012 die erste größere Publikation) die Aufmerksamkeit aller Leser, die eine poetisch gefasste genaue Beobachtung schätzen, mit der dem üblichen Redefluss und Schnelllesen entgegen getreten wird. Die Sujets der Texte sind alltägliche Situationen aus der Lebensumwelt des Dichters: Natur, Reisen, Ereignisse. Schulzens Herkunft aus der DDR ist sowohl thematisch (z.B. in "Tag der Arbeit", "Naftalina") als auch in der Auffassung von Sprache und Dichtung als Beitrag gesellschaftlicher Rede, mit den von Brechts Lyrik gesetzten Impulsen (z.B. in "Der Pflaumenbaum") deutlich. Dass solche Sprache und Anschauungsform nicht mumifiziert, indem sie im Nach-Wende-Deutschland unter musealem Kulturschutz gestellt wird, sondern wir als Leser sie lebendig halten durch Hinweise und Auseinandersetzung mit ihr, wäre zu wünschen. Einige Hinweise, wie die Übersetzung eines russischem Zitats oder Erklärung zur Verwechslung von Tür und Hafen im Französischen, würden die Texte einem weniger gebildeten Leserstand besser oder eben nur anders erschließen. Es bleibt ein intensiver Spracheindruck, der für Bestände geeignet ist, die ihre Leser auf die Reise zu entschleunigtem Reden/Lesen und sensibler wie phantasievoller Realitätsbeobachtung mitnehmen mögen.