Eindeutiger Versuch einer Verführung

Alissa Walser ist eine einfühlsame und lakonische Erzählerin. Vom "Fräuleinwunder" unterscheidet sie sich durch ihren Mut zur eigenen Position, vom realistischen Mainstream durch die Andeutung tieferer Dimensionen. Von der Literatur erwarte sie, heißt es in ihren Essays "Von den Tieren im Notieren" (2015), mehr als nur die "geistlose Herrschaft des Effizienten". Dieses Programm lösen die Prosastücke in dem neuen Band ein. Es sind Miniaturen, oft nicht einmal eine Seite lang, aus der Perspektive einer Frau, die schon einiges hinter sich, aber immer noch viel vor sich hat; feinstoffliche Geschichten über die Suche nach dem richtigen Lebenstempo auf den globalen Daten- und Datingautobahnen. Kann - so die Frage in dem Stück "Abstract" - das Geschriebene ein zerrissenes Leben flicken? In den besten Geschichten gelingt das ansatzweise: in der Lawine von Liebhabern und Familienfeiern, angefangenen und abgebrochenen Ausbildungen, Schoppen und Kochen, Streiten und Lieben zeigt sich eine gewisse Ordnung, die um so wahrhaftiger wirkt, weil sie Erlebnis und "mythische Erfahrung" in einen Zusammenhang bringt. Ein nachdenkliches, manchmal heiteres, manchmal melancholisches Buch mit einigen wunderbar witzigen Dialogen.