Verzerrte Sichtweisen - Syrer bei uns
Seit gut über einem Jahr beherrscht die 'Flüchtlingsfrage' alle Diskussionen über die Zukunft der deutschen Gesellschaft. Und alle vereint eine große Unsicherheit in der Begegnung mit Flüchtlingen. Am Beispiel der nach Deutschland geflüchteten Menschen aus Syrien versucht die mit einem Syrer verheiratete langjährige Nahost-Korrespondentin, mit diesem Buch Ängste, Unsicherheiten und Unwissenheit abzubauen. Einleitend wird Basiswissen über die jüngere Geschichte Syriens vermittelt, ohne das die Fluchtgründe von Syrern aus ihrem Land nicht verständlich sind. Im Mittelpunkt des Buches stehen alltagspraktische Informationen über Lebens- und Kulturgewohnheiten von Flüchtlingen aus Syrien. Welche Grußrituale etwa sind in Deutschland und welche in Syrien verbreitet. Hat das 'Ich' und das 'Wir' in beiden Kulturkreisen eine vergleichbare Bedeutung? Kann man das deutsche Staatsverständnis mit der Staatsidee eines Syrers vergleichen? Ist die stark patriarchal geprägte Beziehung von Männern zu Frauen im syrisch-arabischen Raum tatsächlich fundamental anders als im Westen? "Die Frau als Objekt und Sexismus im Alltag" (so eine Kapitelüberschrift) - ist das nicht ein kulturübergreifendes Phänomen? Könnte nicht die in Teilen der deutschen Bevölkerung zweifellos vorhandene Abwehr der und des 'Fremden' auch auf eine starke eigene Identitätsunsicherheit schließen? Vorsichtig und immer Rücksicht nehmend auf (mutmaßlich) vorhandene Ängste ihrer deutschen Leser versucht die Autorin, "verzerrte Sichtweisen" auf beiden Seiten geradezurücken. Man liest dieses Buch sehr gerne, weil es viele wenig bekannte Details des syrischen Alltagsbewusstseins zeigt. Sehr zu empfehlen für alle, die sich nicht mit Vorurteilen und Halbwissen im Umgang mit Flüchtlingen zufriedengeben wollen. Ab mittleren Beständen geeignet.
Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Verzerrte Sichtweisen - Syrer bei uns
Kristin Helberg
Herder (2016)
269 S.
fest geb.