Beten

Heute tun sich viele Menschen mit dem Beten schwer. Ron Rolheiser, einer der bekanntesten Autoren spiritueller Literatur in Nordamerika, sieht einen Grund dafür in den veränderten Lebensbedingungen: Unsere Kultur unterhält uns so gut, sie beschäftigt uns derart, dass wir darüber eine tiefere Dimension des Lebens völlig aus dem Blick verlieren. Rolheiser sieht jedoch noch einen zweiten entscheidenden Grund: wir machen uns meist falsche Vorstellungen vom Beten. Vor allem denken wir, wir müssten uns Gott von unserer besten Seite zeigen - so sagen wir ihm im Gebet aber gerade nicht das, was uns wirklich bewegt. Wir glauben, Gott könnte uns erst dann lieben, wenn wir untadelig und vollkommen sind. Dabei verlangt Gott das gar nicht von uns, er möchte nur, dass wir mit all unseren Schwächen und Fehlern zu ihm kommen und uns von ihm helfen lassen. Deswegen ist es unverzichtbar, dass wir uns mit unserer ganzen Persönlichkeit einbringen, dass wir nicht nur unseren Geist, sondern v.a. auch unser Herz zu Gott erheben, denn es geht doch darum, Gottes Liebe zu erfahren. Allerdings ist diese Erfahrung von Gottes Liebe nicht immer spürbar. In jedem Leben gibt es Sorgen, Enttäuschungen und Leid. Ein gereiftes Beten muss deshalb Geduld mit Gott aufbringen, muss auch warten können, bis Gott alles zum Guten führen wird. Das heißt aber auch, dass Beten eine gewisse Treue voraussetzt, unabhängig von allen äußeren Ereignissen wie von allen Stimmungsschwankungen unserer Seele. Nach Rolheiser ist dies die einzige Voraussetzung, die man mitbringen muss, damit das Beten "unsere tiefste Sehnsucht" erfüllen "und unserem schweifenden Herzen und Verstand eine Richtung geben" kann. Da diese Voraussetzung von jeder und jedem zu erfüllen ist, darf man Rolheisers Buch als große Ermutigung verstehen. (Religiöses Buch des Monats Juli 2014)