Imperium

Der als Figur nicht explizit greifbare, über den Berichtszeitraum von etwa 60 Jahren in unterschiedlich genauer Kenntnis verfügende fingierte auktoriale Erzähler macht uns aus einer distanzierten, oft sehr ironisch gefärbten Sicht, allerdings nicht Imperium ohne Empathie mit dem äußerst skurrilen Schicksal einer tatsächlichen historischen Figur des Wilhelminischen Zeitalters bekannt: August Engelhardt nämlich, ein visionärer "Wirrkopf" (177), Sonnenanbeter, Nudist, Vegetarier und "verklemmter Gernegroß" (167) hatte, durch eine Erbschaft dazu in die Lage versetzt, vor dem Ersten Weltkrieg eine kleine deutsche Südseeinsel samt Kokosnussplantage erworben. Der von den Eingeborenen mehr geduldete als über sie gebietende "Inselkönig" realisiert mit unerbittlicher Konsequenz - in seinem verklemmten Imperium - seinen Plan, nicht nur selbst ausschließlich von Kokosnüssen als den Früchten, die der Sonne am nächsten stehen, zu leben, sondern auch die Welt in diesem Sinne zu missionieren, "den Erdenball mit Kokos-Kolonien zu umringen" (80). Tatsächlich gelingt es ihm, einige reformbewegte Aussteiger anzulocken. Dass die moderne Zivilisation, das "Imperium", gegen das er aufbegehrt, ihm ausschließlich demütigende Misserfolge und Niederlagen bis zu seinem endgültigen materiellen und physischen Ruin beibringt, versteht sich. Erstaunlicherweise verfolgt man als Leser diese desaströse Selbstvernichtung eher amüsiert als betroffen, wohl, weil alles eben zwangsläufig so kommen musste. Was macht den Roman lesenswert? Eine sehr eigene literarische Sprache, mal derb zupackend, mal altmeisterlich geschliffen, immer faszinierend originell. Dann ein exotisch-fesselnder Plot mit verschiedenen spannenden Nebenhandlungen und schließlich die Möglichkeit, faszinierende Einblicke in die vielfältigen Attitüden der antimodernen, romantisch-rückwärtsgewandten Reformbewegungen um die Jahrhundertwende zu erhalten. Der durch seinen Roman "Faserland" (1995) sehr bekannt gewordene Autor hat mit diesem skurrilen Abenteuerroman aus der deutschen Kolonialzeit eine nicht minder skurrile Debatte über die Beförderung undemokratischen bzw. totalitären Gedankenguts ausgelöst. Sehr lesenswert!

Imperium

Imperium

Christian Kracht
Kiepenheuer & Witsch (2012)

242 S.
fest geb.

MedienNr.: 357805
ISBN 978-3-462-04131-6
9783462041316
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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