Nachgeboren - Vorbelastet?

Dieter Graumann, seit 2010 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, legt hier ein überaus bemerkenswertes Buch vor, das zugleich einen Ausschnitt seiner Biografie und Programm für seine Arbeit in seinem Amt bietet. Graumann wurde er 1950 in Israel geboren, seine Eltern haben die Schrecken des Naziregimes am eigenen Leib erfahren. Später kam die Familie trotzdem nach Deutschland. Als Präsident des Zentralrats wendet er sich entschieden gegen ein Judentum, das nur als ständige Klage-, Mahn- und Warnstimme wahrgenommen wird. Sein deutsches Judentum ist vielfältig, lebendig, zeitgemäß mit ständiger Besinnung auf die jüdische Geschichte, dabei humorvoll, kreativ und demokratisch. Und es ist tief in der Religion verwurzelt, die er als das eigentliche Fundament ansieht. Deutlich wendet er sich gegen das Vergessen, hat aber genauso die Zukunft im Blick. Engagiert beschreibt er das Verhältnis des Judentums zu Deutschland und zum Christentum. Beides bewertet er als positiv, da er den fast wunderbaren Wandel der Deutschen und mehr noch der Christen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil anerkennt. Allerdings benennt er auch die Schatten, die immer wieder auf dieses Verhältnis fallen, wie antisemitische Ausschreitungen, die Handelsbeziehungen mit dem Iran und die Beschneidungsdebatte (auf die er aber wegen des Erscheinungstermins kaum eingehen konnte). An der gegenwärtigen katholischen Kirche kritisiert er die neue Karfreitagsbitte für die Juden, das Verhalten Roms gegenüber der antisemitischen Pius-Bruderschaft und die zu erwartende Seligsprechung von Papst Pius XII. Das Buch erfreut deshalb so, weil es insgesamt eine lebendige, tolerante, zukunftsorientierte, lebensbejahende Einstellung eines deutschen Juden zeigt, von dem noch viel Positives in der politischen Welt und im interreligiösen Gespräch zu erwarten ist. Sein Buch ist gut lesbar und uneingeschränkt empfehlenswert.