Gutgeschriebene Verluste
Ein namenloser 60-jähriger Erzähler blickt auf die guten Zeiten seines Leben zurück, Ende der 60er und noch einmal Ende der 70er Jahre. Er gehört zur Generation der 68er, sieht sich selbst immer noch als Hippie und hat in jenen Jahren aus dem Vollen geschöpft, geschäftlich, sexuell und in Sachen Drogen. Mit der Vermarktung des Stroboskops ist er reich geworden - eine lose Verknüpfung mit Cailloux Roman "Das Geschäftsjahr 1968/69" (2005). Er ist ein überzeugter Cafégänger, ein Besser- und Bescheidwisser, wirkt abgeklärt, egoistisch, distanziert; nichts scheint ihn wirklich zu berühren, selbst die zahlreichen Frauen nicht, mit denen er über längere oder kürzere Zeit eine Affäre hatte. Von einigen dieser Bettgeschichten erzählt er in schlüpfriger, eher abstoßender Weise. In die Rückblicke ist die Geschichte seines Verhältnisses mit Ella eingeflochten, einer gut 20 Jahre jüngere Frau, die er im Berliner Café Fler kennenlernt, seinem Stammlokal. Ella überredet ihn zu einem Besuch in seinem Geburtsort, einem kleinen Dorf bei Erfurt. Dort erfährt er erstmals Einzelheiten zu seiner Geburt und den ersten Monaten danach, als seine Mutter die Familie verließ. In dieser Episode verliert der Roman seine kühle, künstlich-distanzierte Ausstrahlung, Emotionen werden sichtbar und nicht gleich wieder durch Reflexion zerredet. Doch dann gewinnt der abgeklärte Bescheidwisser mit seiner indifferenten Haltung wieder Oberhand. - Ich gestehe, dass ich nicht recht weiß, was ich von diesem Roman halten soll, der immerhin für den Deutschen Buchpreis nominiert war, es aber nicht über die Longlist hinaus geschafft hat. Er zeichnet sich durch gelungene Miniaturen des Alltagslebens aus, ist sprachlich allerdings eher geschraubt als elegant. Vielleicht finden am ehesten Leser Gefallen daran, die in die Gedankenwelt eines 68ers eintauchen wollen, eines Hippies, der nicht ganz in die Gegenwart zu passen scheint.
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
Gutgeschriebene Verluste
Bernd Cailloux
Suhrkamp (2012)
270 S.
fest geb.