Tumult
Hans Magnus Enzensberger lässt sich nicht festlegen. Munter schreibt er zwischen den Stühlen, denkt seiner Zeit voraus, liebt die Widersprüche. So auch in dem neuen Band, der auf einem Kellerfund beruht. Tagebücher und Notizen aus den 1960er Jahren sind für den inzwischen "ungefähr 85"-Jährigen Anlass genug für eine Zwischenbilanz. Und die fällt selektiv, selbstkritisch und spannend aus. Enzensberger hat damals Russland, Kuba, die USA bereist, er war im APO-bewegten Berlin und nebenbei im norwegischen Domizil. Chruschtschow und Kissinger, Herbert Marcuse und dem Kollegen Lars Gustafsson sind prägnante Miniaturen gewidmet. Enzensberger hat genau hingesehen und die politische Weltlage mit diplomatischer Klugheit kommentiert. Das macht ihm so leicht keiner nach. Sympathisch sind sein Bekenntnis zur bewohnbaren Demokratie und sein Amüsement über ideologische Eintrichterungen. Ein eher lesenswertes Buch, das auch über Enzensbergers russische Liebe - Mascha - Auskunft gibt. Allen Beständen empfohlen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Tumult
Hans Magnus Enzensberger
Suhrkamp (2014)
286 S.
fest geb.