Endlösung
Dem Historiker David Cesarani (1956-2015) gelingt mit diesem detailliert angelegten Werk ein bewegender Bericht und eine hervorragende Deutung des Schicksals der jüdischen Bevölkerung in Europa von 1933 bis 1948. Neueste Forschungsergebnisse, zeitgenössische Briefe, Tagebücher, Dokumente sowie Berichte von Zeitzeugen, vor allem nach Ende des Kalten Krieges zugängliche Quellen aus osteuropäischen Archiven sowie Geheimdienstunterlagen aus Ost und West ermöglichten dem Autor neue Sichtweisen und Bewertungen. Für Cesarani beginnt der "Krieg gegen die Juden" mit der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, denn für Hitler und fast alle Nationalsozialisten waren Diskriminierung und Vernichtung zum einen die Rache für deren "Verrat am Vaterland" (1919) und zum anderen eine Maßnahme gegen die "jüdisch-bolschewistische Gefahr". Die akribische Arbeitsweise des Autors macht deutlich, wie die NS-Bürokratie zwischen den Positionen Ausbeutung und Ermordung hin- und herschwankte, wobei hierbei der jeweilige Verlauf des Krieges ausschlaggebend war. Die in diesem Zusammenhang stets gestellten Fragen u.a. nach der Zahl der Getöteten oder nach der moralischen Verfassung derer, die tagtäglich Frauen und Kinder, Alte und Junge in den Tod schickten, werden ebenso wenig ausgeklammert wie die Tatsache, dass die Vernichtungspolitik den Deutschen bekannt gewesen ist. Genauso sachlich und fundiert erarbeitet Cesarani auch weitere sensible Punkte wie Vergewaltigung, sexuelle Ausbeutung etc. in den Ghettos, Lagern und auf der Flucht. Kritisch beurteilt er zudem die Haltung Großbritanniens und der USA gegen die NS-Vernichtungspolitik, die zwar kurzfristig Boykotte erließen, im Großen und Ganzen jedoch schweigend zusahen. - Ein wichtiges Buch, das für alle Büchereien sehr zu empfehlen ist.
Inge Hagen
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Endlösung
David Cesarani
Propyläen (2016)
1100 S.
fest geb.