lass uns noch mal los

In den 80ern verschlägt ein erster journalistischer Auftrag die Ich-Erzählerin Susanne von Kiel nach Berlin-Kreuzberg, mitten hinein in die Hausbesetzer-Szene und Polizeieinsätze mit Tränengas. Sie bleibt und findet sich in dieser unsteten Lebensweise lass uns noch mal los und kämpferischem Feminismus prächtig zurecht. Heute lebt sie in einem Gebäude mit Eigentumswohnungen nur für Frauen. Doch plötzlich ist sie als angeblich Alte ihren Job in einer Presseabteilung los. Um den Kredit weiter abzahlen zu können, vermietet sie ihre Wohnung und zieht in den Kellerverschlag, weil die Gästewohnung an eine Ukrainerin vergeben wurde. Dort bleibt sie nicht lange allein; eine Polizistin und eine Lehrerin, die keine Wohnung vor Dienstantritt fanden, schließen sich zwangsweise an. Das Sozialgefüge verändert sich stark, weil Susannes Mieterin ihren Macho-Mann mitbrachte und eine andere Mitbewohnerin ihren dementen Vater. Noch dazu stirbt die angesehene älteste Mitbewohnerin, die bis zuletzt der Idee treu geblieben war. - In die Geschichte - mit zahlreichen Rückblicken auf die Anfangsjahre - flicht die Autorin aktuelle gesellschaftliche Fragen sowie ein grundsätzliches Misstrauen gegen Behörden und Polizei. Statt wie früher laut zu demonstrieren, bildet sich eine Gemeinschaft, eine Bande, die mit Müllkunst auf die Anliegen besonders von Frauen aufmerksam macht. Immer wieder reflektiert das Buch die Idee, wie Frauen selbstverantwortlich und selbstbestimmt leben können. Und das alles packt Matthiessen in nahezu groteske Einzelszenen mit schwarzem Humor. Sie geben der Geschichte die nötige Leichtigkeit oder reflektierende Distanz.

Pauline Lindner

Pauline Lindner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

lass uns noch mal los

lass uns noch mal los

Susanne Matthiessen
ullstein (2024)

328 Seiten : Illustrationen
fest geb.

MedienNr.: 619131
ISBN 978-3-550-20267-4
9783550202674
ca. 23,99 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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