Der elektrische Kuss
Charlotte lebt bei ihrem verarmten Vater aus niedrigem Adel Ende des 18. Jh. in der Pfalz; ihre Mutter ist die Mätresse eines dekadenten Fürsten. Sich selbst überlassen, experimentiert Charlotte mit der gerade entdeckten Elektrizität. Ihre Versuchsgeräte erwirbt sie sich nicht gerade auf damenhafte Weise. Samuel dagegen hat sich ganz den religiösen Lebensregeln der Wiedertäufer in ihrer Schweizer Ausprägung verschrieben. Als gute Landwirte sind die Amischen geschätzt. Charlotte lernt über den Knecht Samuels dessen Tochter Sarah kennen. Massiver Druck auf die Sektenangehörigen in der Pfalz lässt Samuel an Auswanderung denken. Eine äußerst anstrengende Überfahrt nach Amerika bringt Charlotte und Samuel eng zusammen. Für einen Moment sieht es nach einem melodramatischen Happy End aus. Ein harter Winter im Haus einer Witwe in Pennsylvania lässt die geistigen Differenzen zwischen Charlotte und Samuel aufbrechen. Zwar heiratet Samuel auch die Witwe nicht, widmet sich vielmehr der Verbreitung religiöser Literatur, aber die Beziehung zu Charlotte kühlt merklich ab. Beide gehen getrennte Wege, als Charlotte Benjamin Franklin, ihr Vorbild, kennenlernt. - Ergeben den Acker Gottes bestellen, sieht Samuel als seine Lebensaufgabe an; Charlotte das naturwissenschaftliche Experiment in einem mechanistischen Weltbild. Größere Gegensätze in der Geisteshaltung dürfte es am Ausgang des 18. Jh. nur schwerlich gegeben haben. Die sich daraus ergebenden diametral verschiedenen Lebensweisen stellt die Autorin wie Kontrapunkte hintereinander. Eine dauerhafte Verbindung scheint sich anzubahnen, verflüchtigt sich aber in den unüberwindbaren Gegensätzen der Geisteshaltung. Der Autorin ist es gelungen, die tatsächlich in nächster Nähe existierenden Lebensformen und ihre Reibungsflächen in einer Geschichte glaubhaft darzustellen. Ein historischer Roman, der sich wohltuend von der Masse abhebt.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der elektrische Kuss
Susanne Betz
C. Bertelsmann (2011)
383 S.
fest geb.