Gott auf der Couch
Im Jahr 1976 veröffentliche der Psychoanalytiker Tilmann Moser sein Buch "Gottesvergiftung", in der er die durch religiöse Erziehung und praktizierte Religion verursachten psychischen Schäden ("ekklesiogene Neurosen") beschrieb und zugleich äußerst
heftig gegen Religion und Kirche polemisierte. Eine der Ursachen für die Schäden sah er in der während der Kindheit häufig produzierte Angst vor einem alles sehenden und ständig strafenden Gott. Seine damalige Schrift hatte eine große Wirkung und möglicherweise verbesserte sich daraufhin manches in der religiösen Erziehung. Seitdem hat Moser sich weiterhin intensiv mit den Auswirkungen der Religion auf die Psyche beschäftigt. Zwar ist er bei seiner persönlichen Ablehnung der Religion geblieben, hat aber sein Urteil über die Religion in guter Weise modifiziert. So katastrophal auch heute noch die seelischen Schäden durch die Religion sein können, so sehr gibt es für ihn heute auch eine "erträgliche" Religion. Er findet sie in einem menschlichen Grundgefühl, das er "Andacht" nennt und das dem Einzelnen Vertrauen und Sicherheit gibt. Beeindruckend sind die Fallbeschreibungen von Patienten. Nachdenklich macht am Ende des Buches ein böser Brief "an meinen Feind Augustinus", dem er vorwirft, nicht nur selbst eine höchst neurotische Form der Frömmigkeit, sondern mit seinen "Bekenntnissen" und seinen theologischen Schriften eine verhängnisvolle Wirkung in der Geschichte der Christenheit gehabt zu haben. Sie habe bis heute Sündenangst, Leibfeindlichkeit, Freud- und Lustlosigkeit verbreitet. Das kritische, aber sachliche Buch, das für manche Probleme die Augen öffnet, verlangt nach kritikfähigen Lesern, ist aber für Seelsorger, nachdenkliche Eltern und Pädagogen durchaus anregend.
Werner Trutwin
rezensiert für den Borromäusverein.

Gott auf der Couch
Tilmann Moser
Gütersloher Verl.-Haus (2011)
223 S.
fest geb.