Du sollst sterben dürfen
Im Sprachstil der Zehn Gebote plädiert diese Publikation für ein "selbstbestimmtes" Sterben. Tilman Jens macht sich selbst zum Sprachrohr für Menschen, die selbst keine Stimme mehr haben. Dabei sind die Argumentationsmuster in subjektiv-statistisch erfassten Mehrheitsmeinungen und persönlichen Erfahrungen anzusiedeln. Als Feindbild zur Aufwertung der eigenen Position fungiert die Behauptung, Kirchen, Politik, Pharmaindustrie und Medizin machten als eingeschworene Allianz die Chance auf eine baldige Legalisierung der aktiven Sterbehilfe utopisch, obwohl des "Volkes Wille" angeblich etwas anderes fordere. In sechs nicht wirklich flüssig geschriebenen Teilen äußert Jens seine emotional geprägten Einsichten, nicht ohne immer wieder auf seinen Vater Walter Jens und dessen "Schicksal" zurückzukommen oder einer Ökonomisierung des Lebens das Wort zu reden. Manche Äußerungen wirken naiv, wenn er z.B. gegen das Argument, niemand dürfe mit Sterbehilfe Geld verdienen, fordert, dass dann auch mit einer Lebensverlängerung kein Geld mehr verdient werden dürfe (S. 65). Auch wenn sich etliche hilfreiche Hinweise und interessante Informationen finden lassen, empfindet man das Buch doch sehr schnell auch als Auflehnung gegen jegliche Fremdbestimmung oder Schicksalhaftigkeit (Gott, Tod) und Emanzipierung von jeglichen Zwängen. Einerseits problematisiert Jens den "Verfall einer Persönlichkeit", andererseits glaubt er: "Ich bin es, der Hand an sich legt, der da stirbt" (S. 105). Ein Dokumentarischer Anhang mit Patientenverfügungen, Interviews, einer Rede und einem Glossar schließt das sehr großzügig gestaltete Buch ab, das aktuell signalisiert, wie wichtig eine Debatte um das bleibt, was "lebenswert" und "Würde" bedeuten.
Reiner Andreas Neuschäfer
rezensiert für den Borromäusverein.
Du sollst sterben dürfen
Tilman Jens
Gütersloher Verl.-Haus (2015)
183 S.
fest geb.