Diva

Dass die Oper, seit Alexander Kluge sie als „Kraftwerk der Gefühle“ beschrieb, Gegenstand von kulturgeschichtlicher Mentalitätsforschung und nun auch der Genderforschung ist, mag nicht neu sein. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken hat Diva mit ihrer vorzüglichen Darstellung einen weiteren Beitrag zur Betrachtung der Oper und ihrer Figuren als Zeugnisse einer unkonformen, Geschlechter überschreitenden Kunst vorgelegt. „Oper arbeitet an der Re-Interpretation und Umbesetzung des Opfertodes Christi“ schreibt sie gleich zu Anfang und hält die Betrachtung von Motiven und Rollenbeziehungen auf eine christliche Werte- und Symbolwelt auch hintergründig im Buch durch. Dabei geht es um 13 höchst bekannte wie beliebte Opernwerke, von Mozart bis Richard Strauß, und ihre zumeist weiblichen Protagonisten. In diesen Opern entdeckt Vinken, dass „die Stimme der Diva“ dem „patriarchalischen Männerbund“ entgegengesetzt wird und Oper mal ironisch, mal passioniert lautstark zu einer Geschichte der sich von Geschlechterzuschreibung und weiblichen Rollenklischee befreienden Frau wird. Da finden sich für den Opernkenner längst erspürte Androgynität und Geschlechterwechsel etwa in Mozarts Figaro oder dem Rosenkavalier, auftrumpfende und die männliche Vorherrschaft brechende Stimmen etwa in der Zauberflöte, Carmen, Tosca und Alban Bergs Lulu, ironisch beiseite tretende, sich selbst behauptende Stimmen in Cosi fan tutte, der Traviata, Madama Butterfly und dem Rosenkavalier. Mit großer Kennerschaft und genauer Text- wie Rollenanalyse führt Barbara Vinken den Leser durch die Opernwelt. Dass dabei freilich der Begriff „Diva“ (Göttin) nicht näher geklärt und problematisiert ist, die Ausführungen die tatsächlichen, teils legendären Sängerinnen der Rollen aussparen (Aufführungspraxis scheint nicht zum hier traditionell gefassten Begriff der Oper zu gehören) und die musikalische Gestalt eher zurückhaltend und nur punktuell im Buch anklingt, vor allem aber, dass neben einem der Lieblingsworte „Sexspielzeug“ die akademische Diktion des Genderdiskurses in die ansonsten gut lesbaren Sätze der Autorin gefunden haben, soll nicht unerwähnt bleiben. Der Opernliebhaber wird den Satz, mit dem Vinken die Kernaussage ihres Buches ausspricht, auch auf das Buch selbst anwenden können: „Mit dem Hetero-Normativen sprengt die Oper jedes Genderkorsett“ (S. 8). In größeren Beständen mit kulturwissenschaftlichem und Musik-Schwerpunkt hat das Buch einen idealen Platz.

Helmut Krebs

Helmut Krebs

rezensiert für den Borromäusverein.

Diva

Diva

Barbara Vinken
Klett-Cotta (2023)

425 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 615025
ISBN 978-3-608-98456-9
9783608984569
ca. 30,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Mu
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