Mond über Beton

Plätze haben ihre Geschichte. Aus Döblins "Berlin Alexanderplatz" hat Qurbanis Film 2020 eine aufwühlende Migrationsschicksalsgeschichte und eine Parabel gegen Rassismus gemacht. Etwas in der Art scheint auch der Berliner Autorin Julia Rothenburg Mond über Beton vorgeschwebt zu haben. In ihrem dritten Roman "Mond über Beton" (zul. "hell/dunkel", BP/mp 20/428) stellt sie eine Reihe von Figuren ins Milieu des Kottbusser Tors in Kreuzberg. Dort kreuzen sich die Wege von abgehängten, prekären Existenzen. Im Mittelpunkt stehen ein alleinerziehender Gemüsehändler mit zwei Söhnen auf der schiefen Bahn und eine rumäniendeutsche Verkäuferin mit engelhaftem Helferethos. Sie sind umzingelt von Junkies, Dealern, Obdachlosen, Kleinganoven, Wutbürgern, Wohnungsbesetzern. Alle wollen sie etwas vom Leben, alle haben den Döblinschen Schicksalshunger - aber wie soll das gehen angesichts des urbanen Strukturwandels nach oben, der "Gentrifizierung" für die wohlhabendere Seite der Gesellschaft, der Sozialwohnungen und Kiezleben zum Opfer fallen. Julia Rothenburg zeichnet ein düsteres, aber nicht ganz hoffnungsloses Bild eines umkippenden Stadtraums. Dabei gelingen ihr dichte Milieuszenen und naturalistische Dialoge. Gleichwohl entrinnt sie nicht der Gefahr solcher Sozialromane, dieses Milieu zum Schicksal zu stilisieren. Kahl und kalt scheint der Mond über diesem kahlschlagsanierten Stadtplatzroman, der am Ende die Welt in ein Meer von Grau taucht.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Mond über Beton

Mond über Beton

Julia Rothenburg
Frankfurter Verlagsanstalt (2021)

309 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 603752
ISBN 978-3-627-00282-4
9783627002824
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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