Welche Pferde sind das, die da werfen ihren Schatten aufs Meer?

Bereits der Titel des 21. Romans des renommierten portugiesischen Autors António Lobo Antunes, im Original 2009 erschienen, jetzt in der bewährten Übersetzung von Maralde Meyer-Minnemann auf Deutsch herausgebracht, gibt dem Leser Rätsel auf. Der Satz taucht wie ein Refrain wiederholt auf, und eins der Kinder, deren Mutter an einem Ostersonntag im Sterben liegt, die Tochter Ana, ist tatsächlich der Meinung, Pferde würden Schatten aufs Meer werfen, was wiederum von ihrem älteren vernünftigen Bruder Francisco infrage gestellt wird. Doch bei Antunes ist alles möglich, Erinnerungen, Träume, Visionen, Begegnungen und Begebenheiten, alle haben sie denselben Stand in der Stimme jedes Einzelnen, diesmal sind es die Sprösslinge einer Großgrundbesitzerfamilie aus Ribatejo, einer Region der Pferde- und Stierzucht, nördlich von Lissabon gelegen, die in einzelnen Kapiteln die familiären unheilvollen Verstrickungen kreuz und quer knüpfen. Mehr als das Stimmenwirrwarr erschwert die Vermischung der Zeitebenen die Lektüre, innere Monologe wechseln mit Beschreibungen von längst vergangenen Erlebnissen ab, und auch Zukunftsvisionen werfen ihre Schatten voraus. Durch genaue Lektüre eines sprunghaften, an vielen Stellen elliptischen, dann erneut redundanten Textes gelingt es dem aufmerksamen Leser jedoch, Geheimnisse und dunkle Stellen zu klären und somit selbst die Fäden zu entwirren und zu einem Ganzen zu komponieren. Dies bedeutet Leseglück für Antunes-Fans. Für Freunde einer anspruchsvollen, von kühnen Bildern überreichen Prosa könnte dieses Buch eine wahre Entdeckung sein.