Alles geschieht heute
Letzte Nacht hat Wes mit Lucy geschlafen, einer als freizügig bekannten Schulkameradin. Dieses Ereignis löst eine Kette verzweifelter Gedankengänge aus: Hat er damit Delia hintergangen, in die er eigentlich verliebt ist? Delia, die Intellektuelle, die Buddhistin, für die er versucht, ein besserer Mensch zu werden? Hat er versagt, etwa so wie sein Vater, der gescheiterte Schriftsteller, der seine Kinder vernachlässigt und sich eher um seine Studentinnen kümmert? Welche Auswirkung hat seine neue Selbsterkenntnis auf seine Beziehung zu Nora, seiner jüngeren Schwester? Eine pflegebedürftige Mutter, ein egoistischer Vater, eine kleine Schwester, die beschützt werden muss, eine Englisch-Facharbeit, die abzugeben ist, die komplizierte Beziehung zu zwei Frauen und zu allem Überfluss die Suche nach der eigenen Identität - Wes versucht der Situation Schritt für Schritt Herr zu werden, kann dem Gedankenchaos jedoch nie ganz Einhalt gebieten. - In einem Kommentar wird der Jugendroman mit Salingers "Fänger im Roggen" verglichen, und tatsächlich gibt es kaum einen besseren Weg, um die oft verzweifelte Stimmung des Protagonisten und seine assoziativen, verworrenen, ständig drängenden Gedankenströme zu beschreiben. Auch im stilistischen Bereich greift die Ähnlichkeit, der Roman behandelt nur einen einzigen Tag, präziser gesagt Wes' Eindrücke, Erinnerungen, Erkenntnisse und Interaktionen an diesem Tag. Keine "leichte Kost", aber schriftstellerisch sehr beeindruckend, insbesondere die Darstellung von Gedankenverirrungen und Selbstzweifeln, wie sie jeder schon erfahren hat. (Übers.: Anne Brauner)
Marlene Knörr
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Alles geschieht heute
Jesse Browner
Verl. Freies Geistesleben (2014)
249 S.
fest geb.